Ein Jahresrückblick

2022_12_31_CS (c) Chr. Simonsen
2022_12_31_CS
Datum:
Sa. 31. Dez. 2022
Von:
Christoph Simonsen

Ein Jahresrückblick auf das Jahr 2022

  • Für mich als Mensch

In wenigen Stunden findet das Jahr 2022 sein Ende. Ehrlich gesagt, ist es mir nicht arg, war es doch ein Jahr, das mit vielen Ernüchterungen verbunden war und mit Einsichten für mich, die kaum hoffnungsfroh stimmen. Dabei fing alles so vielversprechend an: Die Veröffentlichung des Films „Wie Gott uns schuf“ und die daraus zunächst euphorischen Rückmeldungen, auch von kirchlichen Verantwortungsträgern; verbunden mit einer Erleichterung – für sie, weniger für mich – dass endlich etwas in der Kirche zur Sprache gekommen sei, was viel zu lange tabuisiert gewesen sei, nämlich die Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit einer Lehre, die den Glauben stärken wollte, aber queere und andere Menschen unterdrückt habe. Ehrlich gesagt, bin ich dieser Euphorie anfänglich auch verfallen, war doch die Hoffnung mit Händen greifbar, dass sich jetzt ändern würde, was so lange lebens- und glaubensbehindernd in Stein gemeißelt war: eine menschenverachtende Naturrechtslehre, die Menschen in Angst und aufgenötigte Schuldkomplexe verstrickt hat, die nur so leben wollen, was gottgegeben in sie hineingewoben ist.

Dass so viele queere Persönlichkeiten in diesem Film zu Wort gekommen sind und ihre befreiende Lebenssehnsucht und ihre Liebe zum Leben geäußert haben, hat vielen Menschen Respekt abgerungen. In ungezählten Begegnungen in Schulen, Gemeinden und Einrichtungen, von denen ich im Nachklang der Veröffentlichung des Films eingeladen wurde, durfte ich das dankbar erfahren. Das waren sehr bereichernde Erfahrungen, die das Jahr 2022 mir geschenkt hat. Einfach toll, wie klar und unmissverständlich sich Menschen aller Generationen, die sich noch mit der katholischen Kirche irgendwie verbunden fühlen, positioniert haben, abgrenzend von einem System „Kirche“, dass, wie sich in der Folge der Diskussionen auf Bundes- und Weltebene – manchmal schambesetzt ausgesprochen, oft lautstark rechthaberisch verlautbart – in die Enge gedrängt an ihrer ausgrenzenden Lehre festzuhalten versucht. Ein System setzt alles daran, sich selbst zu bewahren auf Kosten eines Menschenrechts und einer Gewissensfreiheit des Glaubens. Ja, das Arbeitsrecht und die Grundordnung für Mitarbeitende wird in den deutschen Bistümern zum 1. Januar des neuen Jahres geändert. Das ist gut und ist sicher auch dem Druck, den die Initiative „outinchurch“ aufgebaut hat, mit geschuldet. Es ist ein wichtiger Schritt und dennoch wage ich die Vermutung, dass die Verantwortungsträger diese Weite zum Teil sicher mit einer inneren Einsicht vollzogen haben, sich damit aber nicht begnügen dürfen, braucht es doch, um der Glaubwürdigkeit dieser Neuerung genüge zu tun, eine gänzlich neue Lehrauffassung. Diese allerdings zu vollziehen, scheuen sich die deutschen Hüter des Glaubens aus Angst vor weltkirchlicher Isolation. Da ist nach meiner Wahrnehmung von einem mutigen Glauben wenig zu spüren.

  • Für mich als Mitarbeitender in der Citykirche Mönchengladbach

Nach dem eher zurückhaltenden Jahr 2021 habe ich das Leben in der Citykirche in diesem Jahr 2022 als sehr rege und lebendig erfahren dürfen. Die Zusammenarbeit mit dem Münsterkantor Klaus Paulsen ist unendlich bereichernd, was sich besonders in den musikalischen Gottesdiensten zur Marktzeit zeigen durfte; aber nicht minder in den Gestaltungen der Gottesdienste Sonntagabends. Es macht Freude, diese Gottesdienste in der Verschiedenheit der Gestaltungen – inhaltlich und musikalisch – zu feiern, fern einer ritualisierten Gleichförmigkeit und dabei eine Gemeinschaft und einen Gemeinsinn erfahren zu dürfen, die mich und uns trägt. Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass die Citykirche inzwischen zu einer Institution in unserer Stadt geworden ist, in der einzelne Gäste unserer Kirche wie auch verschiedene Einrichtungen und Gruppierungen sich mit ihren Begabungen und Interessen einbringen und Leben und Glauben in einen einander bereichernden Diskurs bringen. Das große orangene Schild „offen“ am Eingang ist zu einem sichtbaren Markenzeichen der Kirche unserer Stadt geworden. Es ist tatsächlich möglich: Kirche kann sich öffnen, und Menschen fühlen sich angesprochen. Dankbar bin ich den Künstler*innen, die die Citykirche als einen Ort erkannt haben, in denen Kunst und Raum, Kultur und Glaube sich einander beleben. Die Arbeit macht Freude und die unzähligen Begegnungen bereichern unendlich. Nicht zu vergessen die soziale Einfühlsamkeit, die gerade Menschen am Rande des sozialen Spektrums unserer Stadt einen Ort der Sicherheit und des Angenommenseins schenken. Dankbar bin ich den Ehrenamtlichen, die dies ermöglichen und vermitteln, sei es im Rahmen des Mittwochsessens, des Donnerstagskaffees und anderer spontaner Ideen. Dass unsere Kirche täglich acht Stunden geöffnet ist, ist auch alles andere als selbstverständlich und ist auch den ehrenamtlich Engagierten zu verdanken. Die Citykirche hat sich zu einem Ort entwickelt, wo die berühmten Gespräche „zwischen Tür und Angel“ zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind. Schön, dass Menschen sich zu öffnen trauen an diesem Ort und – so hoffe ich doch – immer wieder erfahren dürfen, dass miteinander zu reden einfach gut tut. Wo Menschen einander anvertrauen, da hört „d’r leev Jott“ immer mit. Eines muss in meinen Augen unbedingt Erwähnung finden: die tolle Zusammenarbeit mit ‚meinen Jungs‘ Jakov, Daniel, Christoph und Norman. Wenn sie nicht wären, die Citykirche wäre nichts wert; ihnen ist es zu verdanken, dass die vielen unterschiedlichen Veranstaltungen – meist zumindest, falls unsere Technik nicht mal wieder streikt -reibungslos funktionieren. Danke Euch!!!

  • Ausblick auf das neue Jahr 2023

Wir werden sehen. Ich wünsche mir auf jeden Fall weniger kirchlichen Feudalismus und eine Menschlichkeit, die dem Leben und dem Vorbild des Menschgewordenen ein wenig näher kommt, nicht aus Barmherzigkeit und Gnade, sondern aus Überzeugung und mit wirklichen Konsequenzen. Auf ein Neues – mit Gottvertrauen.