Die Frage nach Solidarität und Fürsorge

pope-francis-2707203_1920 Kopie (c) pixabay
pope-francis-2707203_1920 Kopie
Datum:
Sa. 28. März 2020
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Gestern hat Papst Franziskus den Segen urbi et orbi gespendet, der Stadt und dem Universum. Eine außergewöhnliche Geste, wird dieser Segen doch ansonsten nur an den Hochfesten Weihnachten und Ostern gespendet. Diese Segensgeste des Papstes bekräftigt, was wir alle wahrnehmen: Covid19 bedroht und bedrückt unsere ganze Welt. Bis hinein in unser alltägliches persönliches Leben drängt sich die Angst, dass auch unser persönliches Umfeld schon befangen sein kann von diesem Virus, wenn denn nicht sogar in unserer Familie, in unserem Freundeskreis, in der Straße, in der wir wohnen, ein Verwandter, eine Freundin oder ein Freund von diesem Virus infiziert ist. Wir hören täglich Worte, die unter die Haut gehen, die Ausdruck großer Sorge und Verunsicherung sind. Wir sprechen von Betroffenengruppen, denn besonders die Älteren unter uns sind gefährdet; Wir hören von Fallzahlen, die täglich steigen; wir werden täglich mit neuen Todesfällen konfrontiert; inzwischen stehen Überlegungen im Raum, die Zahl der Testungen zu erhöhen, um einen genaueren Überblick zu erhalten darüber, wie sehr das Virus sich schon verbreitet hat. All das führte und führt zu einer großen Welle der Solidarität. In der Not finden die Menschen enger zusammen, entdecken viele kreative Möglichkeiten, einander zu helfen.

All das erinnert mich an die Zeit der achtziger Jahre. 1983 verwirrte schon einmal ein Virus die Welt. Das HI-Virus, das verantwortlich war und ist für die Folgeinfektionen einer Aidserkrankung. Damals gab es keinen besonderen Segen des Papstes, vielmehr sprachen Verantwortliche der Kirche von einer „Strafe Gottes“, die den in Sünde lebenden Teil der Menschheit träfe, allerdings nur einen kleinen Teil der sündigen Welt, nämlich die Homosexuellen und später die Drogengebraucher. Damals sprach man auch nicht von einer Pandemie, also einer Katastrophe, die die ganze Menschheit betrifft, sondern von einer Epidemie, war doch eben nur eine kleine Minderheit der Menschheit von diesem Virus gefährdet. Aber eines war vergleichbar zur heutigen Situation: eine große Welle der Solidarität hat die Menschen miteinander verbunden, nicht alle Menschen, aber diejenigen, die sich Sorgen mussten, infiziert zu sein oder zu werden. Damals 1988 habe ich hier in Mönchengladbach die Aidshilfe gegründet gemeinsam mit einigen sozial Engagierten in der Stadt; und auch wenn es schwierig, ja unmöglich war, dass HIV-Infizierte in einem örtlichen Krankenhaus behandelt werden konnten (oder durften???), so fanden sich auch Ärzte, Pflegekräfte und weitere solidarisch Verbundene, die ehrenamtlich den Infizierten und Erkrankten ihre Hilfe angeboten haben.

All das weckt in mir die Frage, ob Solidarität und ein fürsorgendes Verantwortungsbewusstsein in Kirche und Gesellschaft nur dann zum Tragen kommt, wenn die Angst nahe kommt, selbst möglicherweise betroffen sein zu können. Und diese Frage ängstigt und bedrückt mich, verkehrt, ja pervertiert sie doch, was Solidarität aus der Gabe des Glaubens und Verantwortungsbewusstsein im Blick aufeinander eigentlich meinen: unvoreingenommenes füreinander da sein.

Das Gebet füreinander, das Sorgen umeinander, das Ringen miteinander ist im  letzten nur dann glaubwürdig, wenn es unvoreingenommen ist.

 

Christoph Simonsen, Leiter der Cityseelsorge MG