Ausstellung Ora Avital: Im Netz der Ereignisse 11.08. - 29.08.2023

2023_08_11_Ora Avital Im Netz der Ereignisse EInladung (c) Ora Avital
2023_08_11_Ora Avital Im Netz der Ereignisse EInladung
Datum:
Fr. 28. Juli 2023
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen
2023_08_11_Ora Avital Im Netz der Ereignisse EInladung2 (c) Ora Avital
2023_08_11_Ora Avital Im Netz der Ereignisse EInladung2

Zum Besuch der Ausstellung sind Sie, Ihre Freundinnen und Freunde herzlich eingeladen.

Vernissage am Freitag, 11. August 2023 um 19 Uhr.

Die Eröffnungsrede hält Christoph Simonsen.

Ansprache zur Ausstellungseröffnung am 11. August 2023: Ora Avital - Im Netz der Ereignisse

2023_08_11_Ora Avital Vernissage (c) Chr. Simonsen
2023_08_11_Ora Avital Vernissage

Wen es interessiert. Hier wäre mein Redebeitrag zur Ausstellung von Ora Avital: Im Netz der Ereignisse:

Liebe Gäste der Citykirche, liebe Ora Avital,

seien Sie herzlich willkommen.

Die letzten Tage seit Dienstagnachmittag waren anstrengend und zugleich sehr belebend: Anstrengend, vor allem für Dich, liebe Ora und für deine tolle Truppe, die Dir geholfen hat.

Die meisten kennen Dich als exzellente Malerin; erst in jüngster Zeit hast Du Dich an die Skulptur herangetastet. Wir sehen in dieser Ausstellung Skulpturen, die aus Draht geformt sind, womit Du Dich als Künstlerin auf ein für Dich bis dahin ungewohntes Terrain begibst. Für Dich – so hast Du es mir erzählt – war dieser Schritt wie eine Befreiung; und zwar nicht nur eine Befreiung heraus aus der Zweidimensionalität; vielmehr war es aus der persönlichen Sicht heraus eine Befreiung aus der Monotonie der Striche und Linien hin zu einer neuen intensiveren Körperlichkeit, die schon einmal zaghaft 2009 künstlerisch von Dir umgesetzt worden ist, dann aber lange in Vergessenheit geriet. Übrigens ist diese ursprüngliche dreidimensionale Arbeit hier in unserer Ausstellung zu sehen.

Eine Ausstellung zu konzipieren und selbst aufzubauen, geht nicht nur in die Arme, strengt nicht nur die Muskeln an, sondern auch die Geist. Der Aufbau Deiner Ausstellung, war eben nicht nur ein handwerkliches Tun. Alles Hängen und Stellen und Verdrahten und Absichern war verbunden mit einem regen Austausch. Und dieser Austausch kreiste nicht nur ums Hängen und Stellen und Verdrahten und Absichern; vielmehr kamen wir immer auch über die einzelnen Exponate miteinander ins Gespräch. Dazu zeigten die unterschiedlichsten Gäste, die während der Aufbauzeit die Citykirche besuchten, großes Interesse an Dir und Deinen Arbeiten. Anders als in einer Galerie oder in einem Museum, sind die Besucher*innen einer Kirche überraschter, zeitgenössischer Kunst zu begegnen, und dann auch neugieriger, warten mit unerwarteten Fragen und Eindrücken auf. Kunst regt immer zum Gespräch an.

Dabei kam in mir eine blöde Frage innerlich auf, die gar nicht so blöde ist, sondern, wenn man sie ernst nimmt, hochinteressant sein kann: Was war zuerst: Das Wort oder das Bild?

Als bibelkundiger Mensch kenne ich natürlich das Johannesevangelium, das bekanntlich beginnt mit den Worten: „Am Anfang war das Wort“.

Aber braucht es nicht das Bild, um überhaupt einen Anlass zu erhalten, etwas ins Wort zu heben? Braucht es nicht das Sichtbare, das Sehbare (gewiss auch das Hörbare oder Fühlbare), damit etwas da ist, was sich lohnt, ins Wort gebracht zu werden?

Was ist das: ein Bild? Ein Bild sei ein dem Auge sich darbietender Anblick oder eine nur in der Vorstellung wahrgenommene Erscheinung. (DWDS Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute). Sie, liebe Gäste, hier vor mir zu sehen, ist mir in diesem Augenblick einem Bild gleich, ebenso wie die Arbeiten, die an der Wand hängen oder im Raum stehen. Im Blick auf Sie, wie auf die Bilder im Raum und an der Wand, entstehen dann Bilder im Kopf, die etwas bewirken.

In der Vorbereitung dieser Ausstellung habe ich hier und da schon mal eingrenzend betonen müssen, dass Du, liebe Ora, in einer Kirche ausstellst, nicht in einer Galerie oder einem Museum. Dieser Hinweis erschien angebracht, wenn die Frage auftauchte, ob man nicht das eine oder andere zur Kirche dazugehörende während der Ausstellung abhängen oder abbauen könne, was ich mit einer gewissen Strenge dann immer abgewehrt habe. Nicht, dass ich dem Diktum der Unveränderbarkeit damit frönen wollte – ganz im Gegenteil: Durch das von außen in die Citykirche kommende soll das in der Kirche seiende reflektiert, interpretiert, kritisiert werden und damit das vermeintlich Sakrale und das vermeintlich Säkulare in eine vertiefte Beziehung gebracht werden. „Vermeintlich“ insofern, da es immer auch eine Interpretationssache ist, was überhaupt sakral und was säkular ist. Raum und Bild, Bild im Raum erzeugen Emotionen. Emotionen, welcher Art auch immer, binden das individuelle Leben ein in etwas Größeres und fragen danach, was mich dankbar oder traurig, glücklich oder zornig, gleichmütig oder zerrissen werden lässt; Emotionen suchen nach Sinn, nach Sinnhaftem; Emotionen öffnen Wege ins Transzendente.

Deine Arbeiten, liebe Ora, ermöglichen mir und uns, Emotionen frei werden zu lassen.

Ich stelle noch einmal die Frage: Was ist ein Bild? Georg Baselitz hat einmal auf die Frage, was für ihn ein Bild sei, bestimmend geantwortet, ein Bild sei blau oder gelb oder grün; es sei quadratisch oder rechteckig. Aber ein Bild sei weder schön, noch schlecht, weder abstoßend noch anziehend. So oder ähnlich hat er diese Frage beantwortet. Ein Bild ist ein Bild, nicht mehr und nicht weniger. Erst der oder die Betrachtende verleiht dem Kunstwerk eine emotionale Ausstrahlung. Etwas überspitzt gesagt: Ohne äußere Bilder keine inneren Bilder und also auch keine Emotionen.

Nun steht aber im Buch Genesis das Gebot geschrieben: „Du sollst dir kein Bild machen“. Mir scheint: Der Schriftsteller des Pentateuch muss Georg Baselitz gekannt haben. Denn natürlich ist sowohl im Buch Genesis als auch im Johannesevangelium – wenn vom Bildverbot bzw. vom anfänglichen Wort die Rede ist – von Jahwe, von Gott die Rede. Dem Bild „Jahwe“, dem Bild „Gott“ kann erst in der Betrachtung Sinn zugesprochen werden, Wert – und ja: auch Nutzen. Ohne Betrachtende wäre Gott Gott, wie ein Bild ohne Betrachtende ein Bild wäre. So wie die Allmacht Gottes erst durch die Anbetung Sinn erhält, so erhält ein Bild seinen Sinn durch die Betrachtung. Das in einem Arbeitsprozess erstellte Werk wird zu einem Kunst-Werk, dadurch, dass es Betrachtende berührt, bewegt, abstößt, gleichgültig lässt, auf jeden Fall etwas bewirkt.

Und eben das tun die Arbeiten von Ora Avital: Sie bewirken etwas, sie lösen etwas aus – zumindest bei mir. Ich sehe die Skulptur zwischen den Säulen, die verstrickt ist im Netz der Ereignisse. Ich sehe Draht, Drahtknäuel. Aber mir geht es nicht um diese verknoteten Drähte. Mir geht es im Sehen nicht um die Mühe der Arbeit, der die Künstlerin ausgesetzt war, mir geht es vielmehr um die Bilder im Kopf, die entstehen und die Gedanken und Emotionen in einen Lauf bringen. Ich sehe, dass die versichtbarten Verstrickungen zu einem großen Teil in den Händen der Figur liegen, und ein befreiendes Empfinden regt sich in mir: Leben ist nicht schicksalhaft. Ich halte die Verstrickungen meines Lebens – zumindest zum Teil – in meinen Händen und ich kann mich lösen, es liegt in meiner Hand.

Ich sehe die Linien auf den Leinwänden, ich sehe Farben und Farbkompositionen und ein Begriff kommt mir in den Sinn: Bewegung. Und in mir entfacht die Lust, mich in meinem Leben zu bewegen, mich zu verändern, mich aus den inneren und äußeren Stillständen zu befreien.

Ich höre – von Ora Avital – dass den Grundfarben Wachs beigemischt ist und erinnere mich natürlich des behütenden wie bergenden Charakters dieses Materials. In der Schau dieser Bilder entstehen beruhigende und bergende Empfindungen.

Was war nun also zuerst: Das Wort oder das Bild? Ich denke mir: Wenn am Anfang das Wort ist, und das Wort bei Gott ist und das Wort Gott selbst ist, und in diesem Wort der Schöpfungsvorgang seinen Anfang genommen hat, dann muss Gott ein Bild von dieser Schöpfung in sich getragen haben. Das Bilderverbot im Pentateuch, im Buch Moses warnt, umgekehrt davor, den Versuch zu starten, Gott in ein Bild zu pressen. Deshalb braucht es viele Bilder, die Anlass geben zu unterschiedlichsten Interpretationen, um dem einen Bild des Ursprungs auch nur annähernd näher zu kommen.

Die Bilder von Ora Avital, wie jedes Bild überhaupt, mögen da ein Tropfen auf dem heißen Stein sein, aber jeder Tropfen ist gleich wert und gleich wichtig und gleich unverzichtbar.

Ich wünsche so allen Besucher*innen der Citykirche in der nächsten Zeit, Muße und Geduld und Neugierde, sich den Arbeiten von Ora Avital zu stellen, um neue Worte für ihr Leben zu finden und ich danke Dir, liebe Ora, für alle Anregungen, die Du mit Deine Arbeiten in die Citykirche hineingetragen hast.

Christoph Simonsen