Ansprache von Christoph Simonsen zum Dreifaltigkeitssonntag 2021 - Lesejahr B

Datum:
So. 30. Mai 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Lesung aus dem Buch Deuteronomium (Dt 4, 32-34.39-40)

Mose sprach zu seinem Volk: Denn forsche doch einmal in früheren Zeiten nach, die vor dir gewesen sind, seit dem Tag, als Gott den Menschen auf der Erde erschuf; forsche nach vom einen Ende des Himmels bis zum andern Ende: Hat sich je etwas so Großes ereignet wie dieses und hat man je solches gehört? Hat je ein Volk mitten aus dem Feuer die donnernde Stimme eines Gottes reden gehört, wie du sie gehört hast, und ist am Leben geblieben? Oder hat je ein Gott es ebenso versucht, zu einer Nation zu kommen und sie sich mitten aus einer anderen herauszuholen unter Prüfungen, unter Zeichen, Wundern und Krieg, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm und unter großen Schrecken, wie alles, was der HERR, euer Gott, in Ägypten mit euch getan hat, vor deinen Augen? Heute sollst du erkennen und zuinnerst begreifen: Der HERR ist der Gott im Himmel droben und auf der Erde unten, keiner sonst. Daher sollst du seine Gesetze und seine Gebote, auf die ich dich heute verpflichte, bewahren, damit es dir und später deinen Nachkommen gut geht und du lange lebst in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt für alle Zeit.

 

Evangelium nach Matthäus (Mt 28,16-20)

In jener Zeit gingen die elf Jünger nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder, einige aber hatten Zweifel. Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

 

Ansprache:

Bei mir hats reingeregnet. Also, natürlich nicht bei mir, vielmehr in meinem Haus. Hinter der Couch tropfte es von der Decke runter. Die Quintessenz: Das Haus brauchte neue Dachrinnen und eine neue Verkleidung der Giebelfenster. Die Ursache war also schnell gefunden und das Problem gelöst. Dieser Vorfall hat allerdings bei mir etwas Nachdenkens Wertes ausgelöst: Wenn das Wasser nicht seinen gewohnten Weg fließen kann, sucht es sich einen anderen, und das mit ziemlich großer Energie. Wie viel Energie liegt in unserer Welt in den verschiedensten Ausprägungen. Wir nutzen – die drohende Klimakatastrophe hat uns Menschen erst so wirklich drauf gebracht – die Wind- und Sonnenenergie für unseren täglichen Bedarf immer mehr. Die Welt ist voller Geschenke für uns Menschen, uns das Leben zu erleichtern, ja es erst überhaupt zu ermöglichen. „Es liegt was in der Luft…“ so heißt es in einem Chanson der 20iger Jahre. Es liegt so viel Energie in der Luft, so viel energetische Kraft. Ohne diese Energie, ohne diese Kräfte, die uns die Natur zu unserer Verfügung schenkt, wäre nichts und könnte nichts werden. Mit dieser wunderbaren Energie aber, wenn wir sie nutzen, kann so viel Gutes und Schönes gedeihen. Auch ich wäre nichts, wenn nicht die vielfältigen Energien der göttlichen Schöpfung mir dienlich wären. Denn ich bin, aber ich bin nicht fertig; um es mit dem Bild des Wassers zu sagen: ich bin noch nicht angekommen. Ich bin noch auf dem Weg; auch in einem übertragenen Sinn bin ich auf dem Weg. Und dazu braucht es Kraft und Energie. Das Leben verbraucht viel Kraft, damit es sich dann auch weiter entwickeln kann.

 

Joseph Beuys hat einmal auf die Frage, wie er sich denn ernähre, geantwortet: „Ich ernähre mich durch Kraftverschwendung“. Diese These finde ich mehr als des Nachdenkens wert, besagt sie doch, dass ich dann satt werde, wenn ich mich verschwende. Mein Hunger wird gestillt, wenn ich mich weggebe.

 

Daran hat mich dieser dumme Wasserschaden in meinem Haus wieder einmal erinnert. Das Wasser will fließen und wenn sich ihm etwas in den Weg stellt, dann findet es einen neuen Weg. Stehendes Wasser wird faul und beginnt zu stinken. Es will aber nicht faulen und es will nicht stinken; denn es hat ein Ziel vor Augen: Das große Meer, wohin alles Wasser sich gezogen fühlt. Welches Ziel habe ich vor Augen?

 

Diese Frage stellen auch die Arbeiten in der Ausstellung der Citykirche, die an eben diesen Joseph Beuys erinnern möchten. Die Auseinandersetzung mit Beuys weckt immer wieder meine Neugierde. Auch wenn ich vieles nicht verstehe; ich will es aber verstehen. Neugierde ist auch eine Form der Energie; sie treibt mich an, macht mich unruhig, verleitet mich, an anderer Stelle zu suchen, vielleicht den Rat eines anderen Menschen einzuholen. Neugierde schafft Beziehung, bringt Menschen zusammen und löst Auseinandersetzungen aus, woraus wieder Neues entstehen kann. Beuys ist – zumindest für mich – auch eine Form von Energieträger. Er treibt mich an, nicht stehen zu bleiben, denn ich will nicht faulen, will nicht verdorren, ich will einem Ziel entgegengehen und dorthin kommen, wohin ich mich hingezogen fühle. Das verbraucht Kraft und Energie, es setzt aber auch Kräfte frei und produziert neue Energien.

 

So ist Energie nicht nur ein Schlüsselwort unserer Zeit; Energie ist auch ein Schlüsselwort unseres Glaubens. Wenn ich es weniger theologisch und mehr im Stile von Joseph Beuys sage, dann wird es vielleicht deutlich: Gott ernährt sich auch in unbändiger Weise durch Kraftverschwendung; er verschenkt sich ganz, gibt alles, seine ganze Energie. Und seine Energie heißt „Liebe“. Liebe ist eine wunderbare Energie; indem sie sich verausgabt, vermehrt sie sich. Schön, dass die heutigen Texte am Dreifaltigkeitssonntag diese unersetzbaren Energieträger Wasser und Feuer in ihrer einzigartigen Bildsprache einbringen und dann im Evangelium die Einladung zur Taufe ausgesprochen wird, nachdem Jesus mit den Jünger*innen den beschwerlichen Weg auf den Berg angetreten ist. Der anstrengende Weg hat sicher viel Energie verbraucht, aber dann werden die, die so viel Puste aufgebraucht hatten eingeladen, die Menschen zu taufen. Ja so ist es: Wer bereit ist, sich mit seiner ganzen Energie ins Leben einzubringen; wer -um im Bild zu bleiben – auch die beschwerlichen Bergwanderungen in seinem Leben nicht scheut -der entdeckt in sich die Gabe, andere mit Leben zu beschenken. Wer ganz und mit ganzer Überzeugung bei sich ist, nur der kann auch und der will auch ganz bei den anderen sein, so wie Gott ganz bei sich und ganz bei allem ist, was er geschaffen hat.

Ich finde es bewundernswert, dass, wenn Menschen Fragen zulassen, das Leben und auch der Glaube im Leben anregender und auch angemessener wird. Selbst und vielleicht gerade dann, wenn sich nicht sofort befriedigende Antworten finden lassen. Aber jede unbeantwortete Frage im Leben deutet hin auf das, was noch aussteht: das große Geheimnis Gottes, der eins ist und sich alleine doch nicht genügt, weil er Beziehung ist und Beziehung will und dabei keine Kraftanstrengung scheut. In sich eins sein und zugleich unabdingbar angewiesen sein auf ein Gegenüber. Das ist das Geheimnis Gottes. In dieses Geheimnis Gottes sind wir hineingewoben. Und dieses Geheimnis führt uns einem göttlichen Ziel zu. Wie das Wasser, das ins Meer fließt, wo jeder Tropfen sich vermengt mit dem großen Ganzen und doch jeder Tropfen notwendig ist, dass das Ganze wirklich ganz ist.