Ansprache von Christoph Simonsen zum 15. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B

Datum:
So. 11. Juli 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Lesung aus dem Buch Amos (Am 7,12-15)

Zu Amos aber sagte Amazja: Seher, geh, flieh ins Land Juda! Iss dort dein Brot und prophezeie dort! In Bet-El darfst du nicht mehr prophezeien; denn das hier ist das königliche Heiligtum und der Reichstempel. Amos antwortete Amazja: Ich bin kein Prophet und kein Prophetenschüler, sondern ich bin ein Viehhirte und veredle Maulbeerfeigen. Aber der HERR hat mich hinter meiner Herde weggenommen und zu mir gesagt: Geh und prophezeie meinem Volk Israel!

Zwischengesang:

Evangelium nach Markus (Mk 6,7-13)

Er rief die Zwölf zu sich und sandte sie aus, jeweils zwei zusammen. Er gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister und er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen. Und er sagte zu ihnen: Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst! Wenn man euch aber in einem Ort nicht aufnimmt und euch nicht hören will, dann geht weiter und schüttelt den Staub von euren Füßen, ihnen zum Zeugnis. Und sie zogen aus und verkündeten die Umkehr. Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie.

Ansprache

Amos wird aufgefordert, sein Brot in der Fremde zu essen; die Apostel werden aufs geradewohl von Jesus weggeschickt, in fremden Orten und Häusern einzukehren. 

Und wir? Wir läuten die Glocken und hoffen, dass die Menschen in Scharen zu uns kommen. Diese bissige Spitze ist gewiss etwas übertrieben formuliert. Aber ich lasse sie vorläufig mal so stehen.

Amos ist Viehzüchter, kein Priester, kein Gelehrter. Amazja, der Priester, spricht aber gerade ihn an, aufzubrechen und Bet-El zu verlassen. Bet-El ist ein Heiligtum des Königs, ein Reichstempel; mit anderen Worten: Bet-El ist kein Ort mehr des freien Denkens und Fühlens; Bet-El wird kontrolliert, beobachtet von einem mächtigen König, der das Schicksal der Untergebenen in der Hand hält.

Amos ist nur ein Viehzüchter, der Maulbeerfeigen zieht. Aber der Herr sagt zu ihm: Geh und rede als Prophet zu meinem Volk Israel. Amazja, ausgerechnet der Priester, ist der Überbringer dieser göttlichen Worte.

Braucht es heute Priester, die das System durchschauen und Maulbeerfeigenzüchter berufen, das Wort Gottes verkünden? Braucht es Störenfriede, die in Frage stellen, was ansonsten fraglos hingenommen wird? Das hätte ja in der Tat fast schon anarchische Züge.

Jesus rief die Zwölf zu sich und sandte sie aus, jeweils zwei zusammen. Nicht einer alleine, immer zu zweien. Keine Alleinherrschaft, kein Königtum, im Miteinander soll sich Glaube und Leben entwickeln. Kennzeichen soll sein ein Wanderstab und Sandalen. Das klingt nicht wirklich nach verfasster Kirche. 

Ja ich weiß, nicht bitte schon wieder Systemkritik. Anzweifeln kann das aber wohl keiner von uns: Realität und Vision liegen weit auseinander und wer diese Kluft zu überbrücken bemüht ist, steht in der Gefahr, sich nur neue Blessuren zuzufügen. Aber sie ist real: diese Kluft. Unsere Kirche, unsere verfasste Kirche, ist ein Menschengebilde, hierarchisch aufgebaut, Mitsprache nur bedingt zugelassen und dann immer im Ergebnis noch gebunden an das entscheidende Wort einer nicht gewählten Minderheit. Das muss ärgern machen; aber im Blick auf die Heilige Schrift muss es uns vor allen Dingen unruhig machen. Nicht Frustration darf die Quintessenz sein, vielmehr muss uns Aufbruchstimmung ereilen; eine Aufbruchstimmung, die sich frei macht von Enttäuschung und sich leiten lässt von der Geradlinigkeit eines Viehzüchters, der sich von einem Priester rufen lässt, das Wort Gottes prophetisch zu verkünden.

Propheten haben eine dumme Angewohnheit: Sie bringen immer alles durcheinander und das für die Allgemeinheit Selbstverständlichste stellen sie in Frage. Geh und rede", so vernimmt Amos seinen Auftrag. Er hat keine Weihen, keine seinen Status absichernden Dienstausweis mit auf den Weg bekommen: Amos ist und bleibt Viehzüchter, einer von ganz unten auf der Skala der Beliebten. Aber er geht - und er redet. "Geh und rede", das müsste heute wohl heißen: "Heb deinen Hintern hoch und mach dein Maul auf". Sei auch mal rücksichtslos, um denen, die rücksichtslos beiseitegeschoben werden, zur Seite zu stehen. Denn darum geht es, zu heilen, was krank ist und die Dämonen auszutreiben, die immer nur bewahren und behalten wollen und vergessen haben, das Leben Bewegung ist und nicht Stillstand.

"Geh und rede", nicht diplomatisch ausgewogen, nicht nach allen Richtungen abgesichert, sondern einzig der Menschlichkeit verpflichtet, denn in der Menschlichkeit zeigt sich das Wesen Gottes. Mir ist ein Gedanke in dem Zusammenhang wichtig, den Manfred Deselaers am Freitagabend uns mit auf den Weg gegeben hat. Er erzählte von einem Gespräch mit einem Holocaustüberlebenden, der gefragt wurde, ob er noch an Gott glauben könne. Und er antwortete mit Blick auf Manfred sinngemäß: ‚Es ist gut, lieber Manfred, dass du an Gott glauben kannst; ich kann es nicht mehr. Aber einen anderen Glauben habe ich nicht verloren; ich glaube immer noch an die Liebe‘. 

In der Heiligen Schrift heißt es, Gott sei größer als unser Herz; und an anderer Stelle: Gott ist Liebe. Dann sollte es doch möglich sein, im Vertrauen auf ihn unser Herz zu öffnen und gemeinsam mit allen, die sich der Liebe verpflichtet fühlen, gemeinsame Wege gehen in die Fremde. So vieles und so viele sind uns fremd geworden; vielleicht deshalb, weil wir uns zu lange als Kirche und Gemeinde genug waren. Lasst uns also gehen und reden: Als Viehzüchter, als Hausfrau, als Bankkaufmann, als Lehrerin, als Arbeitslose, als Frau, als Mann.