Ansprache von Christoph Simonsen zu Pfingsten 2021- Lesejahr B

Datum:
So. 23. Mai 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Lesung aus der Apostelgeschichte: (Apg 2,1-11)

Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie waren fassungslos vor Staunen und sagten: Seht! Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Kyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber - wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.

 

Evangelium nach Johannes (15,26-27.16,12-15)

Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen.  Und auch ihr legt Zeugnis ab, weil ihr von Anfang an bei mir seid.

Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden. Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden.

 

Ansprache:

Mal wieder eine Videokonferenz. Eines hat die katholische Kirche ja erkannt: Sie verliert an Bedeutung in unserer Gesellschaft und sie muss was tun. Die letzten Monate, verstärkt durch die Corona Pandemie, haben es unmissverständlich offen gelegt: Mit einem „Weiter so“, läutet die Kirche höchsten noch ihren Weg in die gänzliche Bedeutungslosigkeit ein. Den Jugendverbänden fehlt es an Nachwuchs; die Jugendkirchen sind eher Treffpunkte für sich jugendlich haltende Erwachsene. Zur Mitarbeit bei den synodalen Wegen der verschiedensten Art müssen junge Menschen mehr gedrängt als gebeten werden. Wen wundert’s? Gerade in den letzten Tagen haben die deutschen Bischöfe mal wieder offengelegt, wie wenig sie bereit sind, sich mit den Fragen junger Menschen auseinanderzusetzen. Eine zehnköpfige Jury, bestehend unter anderem auch aus Theolog*innen, hat der Bischofskonferenz einen Vorschlag unterbreitet zur Verleihung des katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises. Der Vorschlag wurde abgelehnt. Warum? In dem Roman von Roman Brahm „Papierklavier“ ging es unter anderem um das Thema Transsexualität. Und so hieß es nur kurz: Dieser Roman entspräche nicht den Statuten. Man möge diese Entscheidung selbstverständlich nicht werten als eine Abschätzung dieses bedeutsamen Themas; ausschließlich formale Unstimmigkeiten hätten zu dieser Entscheidung des Ständigen Rates der Bischofskonferenz geführt. Wer glaubt wird selig; und selbst, wenn es stimmen würde, vertrauensbildend ist eine solche Entscheidung gewiss nicht.

 

Die Frage steht im Raum: Wie gewinnen wir als christliche Gemeinschaft wieder Vertrauen zurück, gerade Menschen gegenüber, die sich verletzt und unverstanden fühlen? Die Sprache der Kirche ist ja schon eine gänzlich andere als die Sprache der Menschen. Anders als beim Pfingstereignis sprechen wir verschiedene Sprachen, verstehen aber nicht mehr. Nicht wenige traditionsgebundene Christ*innen gehen auf die Barrikade, wenn auch nur der Anschein aufkommt, Fremde könnten das Vertraute gefährden. Bischof Feige aus Magdeburg hat im Nachklang des 3. Ökumenischen Kirchentages in Frankfurt/M selbstkritisch das Handicap der kirchlichen Sprache auf den Punkt gebracht, wenn er sagt: „Kritisch sehe ich, dass man sich sprachlich… trotz aller Anstrengungen weitgehend in einer binnenkirchlichen Blase bewegt und damit wohl kaum Nicht-Gläubige oder den Kirchen distanziert gegenüber stehende Menschen erreicht hat.“ Wer von sich überzeugt ist, er/ sie sei im Besitz der einzig gültigen Wahrheit, der kann auf ein pfingstliches Sprachenwunder lange warten. Es wird sich nicht ereignen. Es scheitert am Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein.

 

Diese Zoomkonferenz, an die ich gerade denke und die es vorzubereiten galt, war nun in besonderer Weise interessant, weil Vertreter*innen derer, die sich in und von der Kirche ausgeschlossen fühlen mit am vorbereitenden Gespräch beteiligt waren. Alle erzählten von ihren Hoffnungen und Träumen, wie sie sich eine Glaubensgemeinschaft heute 2021 vorstellen.

Keiner von uns hat auf die Uhr geschaut, wann es denn endlich konkret werden würde, wann wir Themen festlegen könnten, Referenten in den Blick nehmen könnten; die Zeit verging wie im Flug, denn wir haben uns leidenschaftlich verbissen in unseren Träumen und Phantasien. Gerade weil alle von ihren Enttäuschungen und Verletzungen gesprochen haben, ungeschönt und schonungslos, bahnten sich Hoffnungen und Erwartungen ihren Weg in unsere Diskussion hinein.

 

Wir erzählten einander von den Höhen und Tiefen unseres Lebens, erstaunlich offen, obwohl wir so wenig vertraut waren miteinander. Wir hatten keine Angst voreinander, dem anderen/ der anderen etwas anzuvertrauen, was peinlich werden könnte. Und wir gerieten von Augenblick zu Augenblick mehr ins Staunen darüber, wie vielfältig die Lebenswege der einzelnen waren und wie kostbar zugleich. Und plötzlich sagte ein Mädel, die vorher bekundete, der Kirche längst den Rücken zugekehrt zu haben: „Mensch was haben wir ein Glück mit diesem Gott, der so vielfältig und unterschiedlich im Leben der verschiedensten Menschen vorkommt.“ Und darauf erwiderte ein anderer spontan: „Ja das ist wirklich war: Dieser Gott ist ein Glücksfall für die Menschheit.“ Gott: ein Glücksfall für die Menschen. Gott: ein Glücksfall für so viele auf ganz unterschiedliche Weise; kein kleinkarierter Aufrechner von gut und böse.

 

Von jeher ist das Feuer ein Bild für den Heiligen Geist gewesen. Ein Feuer erlischt dann, wenn es keine Nahrung mehr erhält, wenn kein Holz mehr nachgeschoben wird. Ein Feuer kann nicht aus sich heraus gedeihen; es braucht Material, damit es wärmen und im Dunkeln Licht sein kann. Ein Feuer braucht aber auch Offenheit, braucht Luft, damit es nicht erstickt. Wo alles abgeschlossen ist, da kann Feuer sich nicht entfalten.

 

In dem eben erwähnten Austausch war beides: Nahrung, Lebenserfahrung nämlich, die wir einander geschenkt haben und Offenheit, Raum, so dass sich jede und jeder entfalten konnte. So breitet sich Glaubensfeuer aus und so werden Menschen füreinander ansteckend.

 

Dann gab es aber doch einen Wermutstropfen. Da nämlich, wo wir unsere Traumwelten verlassen und uns der Wirklichkeit wieder zugewandt haben. Noch immer werden in unserer Kirche Unterschiede gemacht. Da gibt es immer noch den Unterschied zwischen Mann und Frau, den zwischen Priester und Laie und da noch einmal differenziert zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Laien.  Zweifelsohne gibt es Unterschiede zwischen den Menschen; es ist gut, dass nicht alle und alles über einen Kamm geschert wird. Was allerdings ein Unrecht darstellt, was unseren Glauben und unseren Gott entstellt:  Dass mit diesen wertfreien Unterschieden in unserer Kirche auch Wertungen verbunden sind. Es gibt ein Unrecht in der Kirche, das mit der Lehre über die Natur begründet wird aber im Tiefsten gegen die Natur Gottes ist; oder aber die Tradition wird als Argument angeführt; aber Gott erweist sich nicht in vergangenen Lebensmustern sondern im Blick auf die Zukunft.

 

Pfingsten, so heißt es, ist das Geburtsfest der Kirche. Gott legt seinen Geist in die Herzen der Menschen. Durch uns, durch jede und jeden von uns möchte er seine Gegenwart in dieser Welt bekunden. Füreinander sollen wir Lebensheiler, ja Lebensretter werden. Gleich wertvoll, gleich berechtigt. Ständedenken ist dem göttlichen Geist fremd. Hierarchien von Natur aus sowieso. Von diesem Modell „Kirche“ sind wir weit entfernt. Und solange wir nicht bereit sind, das reale System „Kirche“ grundsätzlich erneuern zu wollen, sondern immer nur ein face-lifting vornehmen, so lange werden wir keine Relevanz zurückgewinnen bei denen, die uns den Rücken zugekehrt haben.

 

Pfingsten ist das Fest der Erneuerung. Nichts haben wir nötiger, wenn wir nicht erstarren wollen zu leblosen und lieblosen Gebeinen. Pina Bausch, die vor einigen Jahren verstorbene wunderbare Balletttänzerin und Choreographin hat einmal nach einem Indienaufenthalt die Frage laut gestellt: „Warum sind die Menschen in Indien so kraftvoll und schön, wirken so unverbraucht – und bei uns so erschöpft und so traurig?“ Diese Frage gebe ich gern weiter. Heute mehr denn je bedarf es Fragen, die uns aus dem Gleichgewicht bringen.

 

Diese Grundeinstellung, nur ja nichts durcheinander zu wirbeln, nur ja keine schlafenden Hunde zu wecken, scheint mir der Grund dafür zu sein, dass alle noch so gut gemeinten synodalen Prozesse – und jetzt soll ja noch ein weltweiter dazukommen - sich selbst viel zu schnell ausboten. Nur ja nicht sich mit Rom anlegen; nur ja nicht Grundsätzliches in Frage stellen. Mir scheint, wir verteidigen etwas, was wir für unseren Glauben haben; aber was wir so für unseren Glauben halten ist im Tiefsten die Angst, unsere Sicherheiten zu verlieren. Was könnte sich alles an neuen Chancen auftun, wenn wir mehr Verunsicherung zulassen würden und weniger Bürokratenchristentum verteidigen würden.

 

Sinngemäß sagt Jesus einmal zu seinen Freunden: Wie froh er wäre, wenn er sie brennen sehen würde. Brennen wir?