Ansprache von Christoph Simonsen zu Ostern 2021

Datum:
So. 4. Apr. 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Ostern 2021

 

Wie elendig wäre Jesus zugrunde gegangen, hätte er nur auf das vertraut und hätte er nur darauf gebaut, was ihm in seinem bisherigen Leben widerfahren wäre: Er wäre von den vielen kleinen und großen Enttäuschungen aufgefressen worden und geblieben wäre am Ende nichts als Resignation. 

Wäre die Geschichte die einzige Quelle für die Gestaltung des Lebens, so bliebe am Ende nichts als die bittere Erfahrung, dass im Letzten doch alles beim Alten bleiben wird. 

Diesem Lebensmuster des Bewahrens, stellte Jesus das Lebensmuster des Wagemutes entgegen. Etwas wagen heißt immer auch: ausbrechen aus altgewohnten Mustern, Wege des Vertrauten und Gekannten verlassen. 

Etwas wagen heißt: Nicht nur im Wissen um die Geschichte, sondern auch im Vertrauen auf eine Zukunft die Gegenwart zu gestalten. Im Tod hat Jesus den Himmel offen gesehen. Er konnte diesen Weg des Sterbens nur gehen im Vertrauen auf diesen offenen Himmel, das heißt: im Vertrauen auf Gott. Jesus ist nicht steckengeblieben in der Vergänglichkeit der Geschichte, weil er an eine Zukunft in Gott glaubte; Jesus ist aber auch nicht abgehoben aus der Geschichte, weil er an die Gegenwärtigkeit Gottes im Hier und Jetzt glaubte. Zukunft wird greifbar, erfahrbar, wenn wir Menschen unsere Geschichte durchkreuzen.

 

Letztens saß ich am Frühstückstisch und las in der Tageszeitung einen Bericht über ein Hilfsprojekt in New York, welches jungen Drogengebraucher*innen den Weg ins Leben neu ebnen soll. Ich lese, wie man halt morgens die Zeitung liest, so quer von oben links nach unten rechts. Aber bei einem Satz bleib ich hängen: Da wird der Verantwortliche dieser Einrichtung zitiert mit dem Satz: „Wir geben ihnen den Luxus, sich Zeit zu nehmen“.  Ich merke, wie mich dieser Gedanke fesselt. Mit diesem Gedanken gehe ich in den Tag hinein. „Wir geben ihnen den Luxus, sich Zeit zu nehmen. 

Dass jede und jeder Zeit findet, besser: sich Zeit nimmt, das könnte ein Vorsatz an diesem Ostermorgen sein; sich Zeit nehmen, das wahrzunehmen an Empfindungen und Stimmungen, die in einem leben und sich ebenso Zeit nimmt, diese anzuschauen und zu hinterfragen. Was auch immer in einem lebt im Augenblick, es möchte nicht verdrängt oder vertuscht werden. Mich zum Beispiel erfüllt mit Ratlosigkeit und auch mit Angst, dass unsere Gottesdienste immer unattraktiver werden, dass Rituale verkommen zu hohlen Hülsen, dass das Durchschnittsalter der Besucher*innen fast höher ist als mein Lebensalter. Und mich macht wütend, dass die einzige Sorge von unseren Kirchenverantwortlichen größtenteils darin besteht, dass eben diese Gottesdienste in der Corona Pandemie nicht mehr stattfinden könnten. Wir streamen und streamen, aber wir fragen nicht, für wen und was. Die Osterbotschaft mit all ihrer revolutionären Kraft versickert in Ritual und Symbolik.

 

„Wir geben ihnen den Luxus, sich Zeit zu nehmen.“ Wozu? Um den Augenblick des Lebens aus beiden Blickwinkeln betrachten: Aus der gelebten Geschichte ebenso wie aus der erhofften Zukunft. So eröffnet sich die Chance, beides zu verwirklichen im Leben: zu bewahren, was es zu bewahren gilt, und zu erneuern, wo es zu gestalten gilt. Wer immer nur produziert und wiederholt, was längst der Langeweile ausgesetzt ist, der wir keine Zukunft finden.

 

Das Geheimnis des österlichen Ereignisses zu erfassen, braucht selbstverständlich Zeit. Erfüllte und gefüllte Zeit. Zeit, die innerlich frei macht, sich von dem was war, zu verabschieden, um dem Raum zu geben, was bisher unentdeckt gewesen ist; Ostern ist der Aufruf sich aus der Gefangenschaft des Gestern zu befreien. Auferstehung ist eben nicht ein geschichtliches, vergangenes Geschehen. Auferstehung ist ein immer wiederkehrendes Geschenk. Das zu erkennen, braucht Zeit. Wer nicht in der Unzufriedenheit der eigenen wie der ganzen Geschichte steckenbleiben möchte, sondern im Frieden einer geschenkten Zukunft leben möchte, der kommt nicht umhin, sich diesen Luxus „Zeit“ zu nehmen. Dazu bietet, so dumm das klingt, die geschenkte Zeit in der Corona Pandemie, jede Chance. Nichts möchte verdrängt werden, aber alles sollte hinterfragt werden können. 

Wer das Ostergeschehen wirklich ernst nimmt, der verliert jegliche Angst vor Veränderung. Wer wirklich Ostern feiert, der feiert Zukunft, nicht Vergangenes. Wer Ostern lebt, der klammert nicht, der greift zum Himmel. 

Bischof Kohlgraf sprach in der vergangenen Woche eine Realität an, wovor viele aus Angst die Augen verschließen: Er sprach vom Sterbeprozess der Kirche und sogar vom Tod der Kirche. Und gleich darauf sprach er von den Möglichkeiten Gottes, Neues auferstehen zu lassen. Was muss in unserer Kirche sterben, was muss auch in unserem konkreten Leben sterben, dass wir Gott die Chance geben, etwas Neues zum Leben erwecken zu können? Was muss in uns sterben, damit wir Gott die Möglichkeiten einräumen, in uns Neues auferstehen lassen zu können? Wir klammern und bunkern, wir berufen uns auf Traditionen und Lehrweisheiten, nutzen alle Zeit und Möglichkeiten, festzuhalten, was uns schon längst aus den Fingern entrinnt und haben jede Erinnerung daran verloren, dass Gott ein Gott des Weges ist, des in Bewegung seins, ein Gott des Lebens – und Leben heißt Veränderung. Ostern ist der beste Beweis dafür. 

 

Wir feiern Ostern, weil wir an eine heilsame Zukunft glauben! Wir glauben, dass diese Welt mit diesen Menschen eine Zukunft hat. Darum geht es doch: um diese Welt und um uns Menschen. Wir glauben doch, dass nichts geschehen kann, was uns von der Liebe Gottes trennen könnte. Wir glauben, dass dieser verrückte Gott zu seinem Wort steht, sich verantwortlich zu zeigen für das, was er selbst ins Leben gerufen hat. Warum – in Gottes Namen – sind wir dann so ängstlich? Wollen bewahren und retten, was nicht zu retten ist, anstatt zu wagen und zu hoffen, dass Gott mit uns so viel Tolles vorhat. Ja, Gott hat mit uns viel vor. Packen wir es an.

 

Unsere neue Osterkerze, die uns in der kommenden Zeit hier in der Citykirche leuchtet ist gewiss auch nur ein Symbol, aber eines mit einer sehr bodenständigen Leuchtkraft: diese Osterkerze thematisiert etwas, worauf es in Zukunft ankommt – in unserer Welt und in unserer Kirche – Beziehung zu ermöglichen, Verbundenheit zu schaffen in einer lebendigen Vielfalt.

 

--  Christoph Simonsen Leiter der Citykirche Mönchengladbach Kirchplatz 14 , 41061 Mönchengladbach