Einhundertachtundreißig Peitschenhiebe, größer kann die Schmach nicht sein, von den Schmerzen ganz zu schweigen. Öffentlich ausgepeitscht, Gaffer rundherum. Der Schmerz drückt den Körper zu Boden, die Schmach ist einfach nur entwürdigend. Und die achtundreißig Jahre Haft, zu der Nasrin Sotudeh verurteilt wurde, schreien in ihrer Ungerechtigkeit zum Himmel. All das, weil sie als Menschenrechtlerin und Rechtsanwältin Frauen zu verteidigen wagte, die um ihre Freiheitsrechte gekämpft haben: Im Iran.
Seit dem 8. August befindet sich Narin Sotudeh in einem Hungerstreik. Ihr Mann und ihr Kind tragen diese Entscheidung mit. Dem zugefügten Schmerz und der ungerechten Verurteilung begegnet diese starke Frau mit Entzug und Verzicht. Keine geplante Hungerkur, um ein paar Pfunde zu verlieren, sondern Hungern und körperlichem Verfall ausgesetzt um der Gerechtigkeit willen.
Am heutigen Festtag der sieben Schmerzen Mariens heißt es im Schlussgebet des katholischen Messbuches im Blick auf Maria: „Gib, dass wir im Gedenken an die Schmerzen der seligen Jungfrau Maria bereit sind, die Bedrängnisse des Lebens zu ertragen und so zu ergänzen, was noch fehlt an den Leiden Christi für seinen Leib, der die Kirche ist.“
Im Blick auf das Leiden von Nasrin Sotudeh und vieler anderer, die leiden und Schmerzen erdulden angesichts menschenverachtender Selbstgerechtigkeiten, erscheint mir dieses Gebet widersinnig, ja in seinem inneren Kern pervers.
Schmerz ist kein Gut in sich. Schmerz ist eine Lebensrealität, derer viele zweifelsohne ausgesetzt sind; das zu wissen, habe ich lange genug in einem Krankenhaus gearbeitet. Und ja, Schmerz muss vielerseits ertragen werden, aber immer aus der Hoffnung heraus, ihn überwinden zu können. Wer könnte, wer sollte das Leiden Christi ergänzen. Selbst er hat sich dem Leiden nicht gestellt um des Leidens willen, sondern um es zu überwinden helfen. Er hat sich dem Schmerz ausgesetzt, um allen und für alle Zeit vor Augen zu führen, das nichts unversucht bleiben sollte, Heilung und Heil zu ermöglichen.
Nasrin Sotudeh hat ihren Hungerstreik begonnen, um aufmerksam zu machen darauf, wie sinnlos es ist, Menschen, ja der Schöpfung als Ganzes Schmerzen zuzufügen. Ihre Familie hat der Entscheidung der Mutter und der Ehefrau deshalb zugestimmt, weil sie daran glauben, dass durch ihren Schmerz sich Verstand und Herz der Mächtigen erweichen lassen zu erkennen, dass Schlagen und Strafen keine Mittel sind, Menschen zu beeinflussen.
Maria, selbst Jesus, gewiss Nasrin Sotudeh waren und sind keine Masochisten, die Befriedigung im Schmerz erfahren wollten bzw. wollen. Sie waren und sind Glaubende, Hoffende, Erwartungsvolle, die leben wollten und wollen, um sich an der Vielfalt der Gaben Gottes zu erfreuen – hier und dort.