Der Versuch einer virtuellen Palmsegnung:
Diese Texte und Gedanken sind einzig der Phantasie und der Erinnerung entsprungen, denn das, was heute sein sollte, das wird nicht sein: Dass wir und andere sich versammeln, um Hosanna zu rufen und die Palmzweige zu segnen. ‚Hosanna‘: ein Freuderuf, man könnte ihn übersetzen mit ‚Hey, klasse, wir sind mit dabei‘. Im Rheinland kennen wir das Lied: „ Da simmer dabei, dat is prima“. Ja, wir sind mit dabei, anders als gewohnt, aber mit dem Herzen sind wir dabei, in dieser Heiligen Woche. Wir sind mit dabei und begleiten diesen wunderbaren Menschen Jesus. Was heute mit einem Freudenfest beginnt, wird Ostern mit einem Lebensfest enden, ohne dass wir die Wirklichkeit des Lebens, das Leiden am Karfreitag, ausblenden können. Heute aber zunächst feiern wir den Einzug Jesu in Jerusalem.
Auf einem Esel, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat, wollte Jesus in Jerusalem hineinreiten. Jerusalem, die Stadt; in der Gott den Menschen auf so vielfältige Weise begegnet ist. Auf dem Tempelberg in Jerusalem sollte Abraham Jahwe gehorsam seinen Sohn opfern und er wurde der Barmherzigkeit Gottes gewiss, der keine Opfer wollte, sondern Vertrauen; an eben der gleichen Stelle trat Mohamed seine Himmelfahrt an, um Gott in Ewigkeit nahe sein zu können. Kein Wunder, dass sich Jesus dieses besonderen Ortes bewusst gewesen ist: auch er spürte, dass er auf einmalige Weise Gott nahe kommen werde. Gottesbegegnungen sind nicht alltäglich. Es sollte nicht irgendein beliebiger Esel sein, um diesem Ort der Gottesbegegnung nahe zu kommen; es sollte ein besonderer sein, einer, auf dem zuvor noch nie jemand gesessen hatte. Jesus möchte seinem Vater nicht irgendwie begegnen, er ist sich der Einmaligkeit, der Unwiderruflichkeit dieses Augenblicks bewusst.
Wer heute oder in den nächsten Tagen diese Gedanken liest, der tut es vielleicht mit dem Wunsch, diesem Menschen Jesus staunend und sehnsuchtsvoll die Ehre zu erweisen, hoffend und vertrauend darauf, dass es ganz unterschiedliche Wege gibt, um ihm, Gott, einmalig und wunderbar zu begegnen. In diesen Tagen mehr denn je spüren wir, dass uns die vertrauten und tradierten Wege in der Mitfeier der vielfältigen Gottesdienste der Heiligen Woche versperrt sind. So dürfen wir einander wünschen, dass jede und jeder von uns ihren und seinen Weg finden möge, auf dem sonst noch niemand gegangen ist, der einmalig, zutiefst persönlich und unverwechselbar ihr und sein Weg ist, auf Gott zuzugehen. Die Richtung hat uns der Gottessohn vorgegeben; im Blick auf ihn, werden auch wir unseren Weg zu Gott finden.
Ich möchte ein Mensch werden wie Du:
Dessen Leben und Gestalt
Anderen Hoffnung schenkt und Halt.
Ich möchte einmal ein Mensch werden wie du.
Ich möchte ein Mensch werden wie Du:
Verachteten zu Seite stehn,
mit ihnen sprechen, essen, gemeinsam gehen.
Ich möchte einmal ein Mensch werden wie Du.
Ich möchte ein Mensch werden wie Du:
Dessen Leiden Früchte trägt
Und wie ein Same Wurzeln schlägt.
Ich möchte einmal ein Mensch werden wie Du.
Gott, wäre heute ein ganz normaler Palmsonntag, so würden hier in Mönchengladbach ganz viele Menschen mit Palmzweigen in den Händen deinen Sohn, Jesus Christus grüßen und ehren. Er hat mit seinem Leben einen neuen Geist in unsere Welt gebracht. Er machte Blinde sehend, Lahme gehend, Taube hörend. Er machte Hungrige satt und Reiche, die ihr Leben teilten, glücklich. Er zeigte mit seinem Leben, wie Liebe uns verwandeln kann. Mache uns stark, diesen seinen Weg zu gehen.
Hilf uns lieben, Herr, damit rings um uns niemand leidet oder stirbt, weil wir die Liebe gestohlen haben, die ein anderer zum Leben gebraucht hätte.
Dieser eine Mensch, dieser menschliche Mensch bewahre uns in der Gemeinschaft Gottes. Er stärke unseren Glauben an die Macht seines Friedens.
Er segne uns, die wir vielleicht zuhause einen Palmzweig in den Händen halten als Zeichen unserer Friedenssehnsucht und unserer Friedensbereitschaft. Diese Zweige sind nicht mehr und nicht weniger als ein Symbol des Friedens. Aber Frieden, der nur ein Symbol ist, ist kein wirklicher Friede. So segne dieser menschliche Mensch uns, die wir versuchen, Mensch zu sein und menschlich zu leben. Wir sind des Segens bedürftig, wir sind des Friedens bedürftig, und wir sind es, die die Wege gehen können, die er gegangen ist, dieser menschliche Mensch, dieser Mensch des Friedens, dieser Mensch nach dem Willen Gottes.
Die Palmzweige, sie erinnern uns des Weges Jesu in alle Zweifel des Lebens hinein und sie mögen uns erinnern daran, dass Gott da zuerst ist, wo alles Leben am Boden liegt.
Alle Palmzweige, die Menschen in den Händen halten als Ausdruck ihrer Friedensbereitschaft, mögen gesegnet sein; wir mögen gesegnet sein; alle Menschen guten Willens mögen gesegnet sein; diese Welt möge gesegnet sein.
Ihr
Christoph Simonsen