Max Frisch, einige werden sicher seine Romane „homo Faber“ oder „Stiller“ kennen, wurde einmal von Studierenden gefragt, ob er für sich eine Theorie entwickelt hätte, um damit seine Erzählungen und Romane strukturiert zu Papier bringen zu können. Er verneinte das und erwiderte, es gäbe für ihn eigentlich nur eine Methode des Arbeitens; er würde konsequent und immer wieder einfach nur Fragen stellen. Und mit dieser für ihn zur Gewohnheit gewordenen Methode des „Fragen-Stellens“ ging er auch seinen Freundinnen und Freunden immer wieder auf die Nerven. Er machte sich ein Hobby daraus, immer wieder neue Fragebögen zu erstellen, die er ihnen zuschickte mit der einladenden Bitte, diese doch für sich zu beantworten.
Einer seiner Fragebögen ist mir letztens zufällig in die Finger gefallen und ich konnte über die dort gestellten Fragen angesichts ihrer Ernsthaftigkeit nur staunen: “Sind sie sicher, dass Sie die Erhaltung des Menschengeschlechts interessiert, wenn Sie und all Ihre Bekannten nicht mehr sind?“ Oder ein anderes Fragebeispiel von Max Frisch: „Wenn Sie sich beiläufig vorstellen, sie wären nicht geboren worden: beunruhigt Sie diese Vorstellung?“ Oder ein letztes Beispiel aus diesem Katalog: „Möchten Sie lieber gestorben sein oder noch eine Zeit leben als gesundes Tier? Und als welches?“. Auf solche Fragen muss man erst einmal kommen.
In diesen trüben Tagen des November möchte ich das Augenmerk auf die gerade als letzte gestellte Frage lenken: „Möchten Sie lieber gestorben sein oder noch eine Zeit leben als gesundes Tier? Und als welches?“ Interessant ist, dass neun von zwölf Befragten Künstler*innen, deren Antworten ich auch lesen durfte, in verschiedenster Weise noch einmal als Tier weiterleben wollten: als junger Elefant, als Singvogel, als Raubkatze, als Krokodil sogar.
Ich habe mir diese Frage dann natürlich auch selbst gestellt. Und ehrlich gesagt, fiel mir die Antwort nicht leicht. Ich erinnerte mich einer Aussage meiner Mutter, die einmal sagte – im Blick auf unseren Hund zuhause damals – sie würde gern auch in dieser Familie Hund sein, so wie der verwöhnt würde. Im Ernst: wer mich kennt, weiß, wie sehr ich Tiere schätze und liebe; aber die Vorstellung, mein Leben in einer anderen Gestalt hier auf Erden fortzusetzen, reizt mich nicht so wirklich. Zum einen, weil ich denke, die Welt hat irgendwann auch mal die Nase voll von mir, wenn sie mich 70 oder sogar 80 Jahre ertragen hat und freut sie sich ganz sicher auch mal auf neue Gesichter.
Zum anderen aber, und das jetzt doch ein wenig ernster gemeint, weil es mir lebenswichtig ist, wahrzunehmen, dass mein Leben vergänglich ist, dass es unwiederholbar ist und jeder Augenblick, jede Erfahrung, jeder Schmerz, jedes Lachen, jeder Blick, jeder Kuss, jeder Schlag, jede Enttäuschung und jeder Neuanfang etwas ganz Besonderes, weil einmaliges, ist. Das mag jetzt tierisch pathetisch klingen, vielleicht sogar weltfremd, aber ich hege in mir den Anspruch, die Gnade des Augenblicks zu würdigen und ihn nicht nur in Ehren zu halten, sondern auch in Ehren zu erleben. Ob das immer gelingt, sei dahingestellt, wohl eher nicht, aber es immer wieder zu versuchen, ist mir sehr wohl ein Anliegen.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen wunderschöne, einmalige, unwiederholbare Tage in diesen trüben Tagen des November.
Ihr und Euer
Christoph Simonsen