Manchmal gleicht das Leben einer Reise durch einen langen Tunnel. Es gleicht einer Reise mit einem Zug, der mit voller Geschwindigkeit aus der Helle des Tages in das Dunkel eines Tunnels rast. Alle Sicht ist einem genommen. Keine Sonne, keine Wärme, keine Freiheit, keine Sicherheit. Alles nur schwarz. Was neben mir ist, was vor mir ist, was hinter mir ist: ich weiß es nicht mehr. Da ist nur der schwarze Augenblick, keine Vergangenheit mehr und keine Zukunft. Die Dunkelheit nimmt alles in Besitz. Es braucht eine Weile, bis ich begreife, dass dieses schwarze Loch ein künstliches Loch ist und so wie es einen Anfang hat, so auch sicher ein Ende. Mit der Zeit vernehme ich das Hüsteln meiner Nachbarn im Zug oder das Rascheln einer Zeitung, oder ein Wort, das mir Hoffnung gibt. Es braucht eine Weile, bis ich begreife, dass auch in der Dunkelheit Leben ist. Ein Gedicht von Hilde Domin sagt dies wunderschön:
Tunnel
Zu dritt
zu viert
ungezählte, einzeln
allein
gehen wir diesen Tunnel entlang
zur Tag- und Nachtgleiche
drei oder vier von uns
sagen die Worte
dies Wort:
„Fürchte dich nicht“
es blüht hinter uns her.
Aber auch ein Leben im Licht hat seine Schattenseiten. Wer schon einmal mit schnellem Tempo aus einem Tunnel herausgefahren ist, der weiß, dass auch das Licht erschrecken kann. Wer mit großer Wucht aus dem Dunkel der Sonne entgegen schaut, der sieht plötzlich gar nichts mehr. Man steht im Licht und die Augen sind so geblendet, dass einem schwindlig wird. Auch ein Leben im Licht kann Angst machen. Wer das Covit-19 Virus in sich trägt, der darf hier sicher dankbar sein für eine gute medizinische Begleitung, die das Leben sicher macht. Aber auch ein sicheres Leben kann Angst machen. Wohl keinem von uns sind solche Ängste fremd. Es braucht eine Weile, bis das Licht sich gleichmäßig um einen verteilt hat, dann der Blick sich öffnen und weiten kann. Das Leben gewinnt neu Weite und Raum. Diesen Raum und diese Weite wünsch ich uns. Dass wir uns als Menschen des Lichts erfahren, denen das Dunkel des Tunnels nicht fremd ist.
Dorothee Sölle, eine Dichterin, die sich selbst als eine zweifelnde Glaubende und als Glaubende Zweiflerin verstanden hat, brachte all ihre Hoffnung einmal in einem kleinen Gedicht zusammen:
Am Ende
Der Suche
Steht
Keine Antwort
Sondern eine Umarmung.
Diesen Augenblick erwartend, einander wieder nahe kommen zu dürfen und zu umarmen, grüße ich Sie herzlich und wünsche allen einen guten Tag. Bleiben Sie – werden Sie wieder gesund.
Ihr
Christoph Simonsen