‚Fahrradfahren verlernt man nicht‘, so sagt man. In den letzten Tagen habe ich erkennen dürfen: Beerdigen auch nicht.
In meiner Zeit in Aachen als Seelsorger an der Hochschulgemeinde, da habe ich eher Menschen begleitet, wenn sie heiraten wollten; jetzt hier in Mönchengladbach, der Achtsamkeit der ehrenamtlichen Begleiter*innen geschuldet, die ansonsten Menschen auf dem Weg zum Friedhof begleiten, um sich von lieben Anverwandten zu verabschieden, stehe ich wieder öfter mit trauernden Menschen am Grab.
Menschen zu begleiten, das ist ein Dienst, den man erlernen kann. In die Trauer aber werde ich hineingeworfen. Zu Trauern kann man nicht lernen mit dem Ziel, sich darin einzuüben; zu trauern ist ein immer wieder neuer Lebensprozess, der jedem Menschen Kraft, Geduld und eine innere Offenheit abverlangt.
Einen Menschen zu beerdigen, das kann man lernen. Einen Menschen zu betrauern nicht, denn jeder Akt des Trauerns ist einmalig: einmalig schwer und einmalig wertvoll.
Wenn auch der Dienst der Begleitung in der Trauer ein professionelles Geschehen ist, so bleibt dennoch die Begegnung mit den Trauernden für mich als Seelsorger auch immer wieder ein wunderbares Ereignis – im wahrsten Sinn des Wortes. In der Trauer - so durfte ich in den letzten Tagen wieder erkennen und erlernen – in der Trauer zeigt sich so viel Liebe, Dankbarkeit und Bereitschaft zu Geduld wie auch die Erkenntnis, dass das Leben erlernt werden kann von den Sterbenden, ja von den Verstorbenen.
Deshalb ist das Gedicht von Erich Fried für mich zu einem Trostgedicht geworden. Im Eingeständnis dessen, dass alles einmal zu Ende ist, keimt eine Hoffnung auf, dass niemand vergessen ist.
Zu guter Letzt
Als Kind wusste ich:
jeder Schmetterling
den ich rette
jede Schnecke
und jede Spinne
und jede Mücke
jeder Ohrwurm
und jeder Regenwurm
wird kommen und weinen
wenn ich begraben werde
Einmal von mir gerettet
muss keines mehr sterben
alle werden sie kommen
zu meinem Begräbnis
Als ich dann groß wurde
erkannte ich:
das ist Unsinn
keines wird kommen
ich überlebe sie alle
Jetzt im Alter
frage ich: Wenn ich sie aber
rette bis ganz zuletzt
kommen doch vielleicht zwei oder drei?