Darf man das? Die störende Fliege, die einem ums Gesicht schwirrt, versuchen kaputtzuschlagen? Die Wespe, die einem ins Orangensaftglas hineinfällt, willentlich darin ertränken? Die Spinne, die an der Kachelwand im Bad unauffällig hochkrabbelt, während man duscht, mit dem harten Wasserstrahl ersäufen?
In der vergangenen Woche äußerte ein Gesprächspartner mir gegenüber diese für ihn selbstverständliche Gewissheit, Tiere besäßen keine Seele. Und ich widersprach ihm mit der gleichen Selbstverständlichkeit.
Sicher kennt ihr die Loriot’sche Überzeugung: „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“. Wer mich kennt, weiß um meine Hundevernarrtheit. Und ich gebe gerne zu, dass ich womöglich manchmal etwas übertreibe und kokettiere mit meiner Hundeliebe. Aber was dahintersteckt, das ist mir wertvoll und lebenswichtig: Kein Wesen, kein Geschöpf – und um es noch deutlicher zu machen: kein Gottesgeschöpf ist nur dazu da, einen Nutzen zu erfüllen, noch weniger, dem Menschen von Nutzen zu sein. So lebensnotwendig jedes Geschöpf auf dieser Erde einen Nutzen hat, so gewiss ist, dass jeder Nutzen immer auch einem Dienst gleicht und ein Geschenk ist für andere. Die Schöpfung bleibt zukunftsträchtig, wenn wir erkennen, dass sie einem Ausgleich von Geben und Nehmen verpflichtet ist und jedes Lebewesen untersteht dieser Aufgabe. Dies gilt insbesondere in meinen Augen auch für das Miteinander von Mensch und Tier. Wir sind einander verpflichtet und wir brauchen einander. Allein diese Erkenntnis drängt zu einer sorgenvollen wie liebevollen Achtsamkeit.
Weit darüber hinaus, was die Nutzbarkeit jedes Lebewesens betrifft, zählt aber was anderes: Alles Leben, von der Pflanze angefangen bis zum Menschen, weiß um Schmerz und Freude, um Leben und Tod. Dem Theologieprofessor Johann Baptist Metz wird die Erkenntnis zugesprochen: Jesu erster Blick galt nicht der Sünde, sondern dem Leid. Wer Freude und Leid, Trauer und Hoffnung zu zeigen vermag, der zeigt ein Stück seines Innersten; und wer das vermag, der muss ein Seelenwesen sein. Wenn unser erster Blick immer darauf zielen würde, das Leid des anderen zu sehen, des anderen Menschen, des anderen Tieres, der anderen Pflanze: die Fragen nach Schöpfungsverantwortung, nach Tierschutz oder nach Menschenrechten würden sich von selbst erledigen.
Heute sind Vertreter*innen der Gruppe „Fridays for future“ und anderer Umweltorganisationen bei der Bundeskanzlerin zu Gast. Sie werden vielleicht nicht direkt die Frage erörtern, ob man eine Fliege, eine Wespe oder eine Spinne töten darf. Aber wer weiß? Wenn ich aber nächste Woche in Urlaub fahren werde, dann werde ich diese Frage mitnehmen: „Darf ich das?“
Mitte September bin ich zurück. Ich freue mich, mit vielen neuen Naturerfahrungen dann wieder hier in der Citykirche sein zu dürfen, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Bis dahin: Seid gegrüßt
Christoph Simonsen