Baron Münchhausen, der Lügenbaron, wie er genannt wird, weil er so viele Lügengeschichten erdacht haben soll, wäre heute 300 Jahre alt geworden. Ob das jetzt ein gedenkwürdiges Ereignis ist, sich heute seiner zu erinnern, mag jede*r selbst entscheiden für sich. Mich reizt die Erinnerung an ihn, mich einer Frage zu nähern, die nicht so abwegig ist, wie man meinen sollte:
Was wäre, wenn unser Glaube eine Lüge wäre? Was wäre, wenn alle Gottesvorstellungen nichts wären als Lügengespinste? Gewiss, sie mögen noch so wohlmeinend sein und sie mögen auch noch so heilsame Auswirkungen haben auf das Leben, mögen Frieden und Liebe begründen, Menschenachtung und Gerechtigkeit. Und doch: Was wäre, wenn Gott nur ein Hirngespinst des Menschen wäre?
Der Bemühungen gab und gibt es viele, die Existenz Gottes für unabdingbar zu halten. Der bekannteste Beweisversuch ist der ontologische Gottesbeweis des Thomas von Aquin. Und von ihm gibt es eine Reihe von Erläuterungen. Eine davon ist die Deutung durch den Bewegungsbeweis. Diese sagt: In der Welt ist überall Bewegung. Alles Bewegte wird von einem anderen bewegt, d.h. nichts kann sich selbst die erste Bewegung geben. Die bewegte Welt setzt einen von ihr verschiedenen Beweger voraus. In einer Welt, in der objektivierbare Argumente vor allem anderen zählen, ist diese Annäherung an die Frage nach der Existenz Gottes zweifelsohne attraktiv. Denn die Frage nach Gott kann auch Naturwissenschaftler nicht unberührt lassen. Gott in der Stringenz menschlicher Logik beweisen zu wollen hat etwas Überzeugendes an sich, zumindest etwas nachdenklich Stimmendes. Die Existenz Gottes mit menschlichem Geist nachweisen zu wollen, hat etwas Bestechendes.
Aber es hat auch einen Haken: Denn wenn ich Gott mit meinem Geist beweisen kann, dann ist Gott unweigerlich ein Produkt meines Verstandes und damit unumgänglich auch an die Gesetze der Welt gebunden. Was aber an die Gegebenheiten dieser Welt gebunden ist, das kann doch nicht Gott sein. So widerlegen sich alle Gottesbeweise selbst. Gott zu beweisen beraubt ihn zugleich seiner Göttlichkeit, denn göttlich ist nur, was nicht menschlich ist.
Obwohl also der Begriff "Gott" in der Welt ist, kann seine Wirklichkeit doch nur außerhalb dieser Welt liegen, denn weltliches kann nicht göttlich sein. Einzig die Tatsache, dass die Begrifflichkeit "Gott" in der Welt ist, weist in der Welt auf die Existenz Gottes hin. Gott muss also außerhalb dieser Welt sein. Alles, was in der Welt ist, vermag auf Gott hinzuweisen, ist Verweis auf Gott, aber niemals Gott selbst. Dass wir Menschen glauben, dass wir zum Guten und Heilen streben, dass wir von Sehnsucht erfüllt sind, dass wir nach Höherem und Größerem streben, all das verweist auf Gott und macht uns ein Leben lang zu Gott-Suchern.
Ein letzter - biblischer - Gedanke mag dies unterstützen: Das Ostergeschehen selbst als das größte Geheimnis des Glaubens. Die Frauen kommen zum Grab und finden es leer vor. Das einzige, was sie vor Augen haben ist das weiße Grabtuch. Dieses Tuch wird den Frauen zum realen Symbol eines mit dem menschlichen Verstand nicht nachvollziehbaren Auferstehungsglaubens. Im Blick auf die Heiligtumsfahrt bei uns in Mönchengladbach im nächsten Jahr bekommt diese Erkenntnis einen interessanten Kick, schauen wir in der Münsterkirche doch auch auf ein Tuch – das Abendmahlstuch –, das uns in unserem Glauben stärken möchte
Und eben so verweisen auch die heiligen Tücher auf das, was das menschliche Auge und der menschliche Geist nicht zu fassen vermag.
"Wenn Glauben nur so einfach wäre", ganz so einfach ist er also wohl doch nicht, aber er ist so aufregend und den Geist des Menschen anregend, dass er uns nicht loslässt und selbst ein sogenannter Lügenbaron einen auf interessante Fragestellungen führen kann.
Es grüßt Euch aus einer kleinen Unterbrechung – andere nennen es Urlaub, smile –
Euer
Christoph Simonsen
PS: Deshalb kommen die Gedanken in dieser Woche auch etwas unregelmäßiger