Ansprache 16. Sonntag im Jahreskreis

Datum:
So. 20. Juli 2025
Von:
Christoph Simonsen

Ansprache zum 16. Sonntag im Jahreskreis

„Nie wieder still“: Unter diesem Motto stehen bundesweit die Veranstaltungen diesen Jahres der queeren community anlässlich der Erinnerung an den Aufstand queerer Menschen in New York in der Christopher Street am 28. Juni 1969. Damals haben sich zum ersten Mal Homosexuelle gegen die Polizeigewalt zur Wehr gesetzt , weil wahllos auf sie eingeprügelt wurde von der Staatsgewalt.

„Nie wieder still“, denn stillschweigend verändert sich etwas in unserem Land . Das macht mir Angst, weil ich nämlich bis vor einiger Zeit davon überzeugt gewesen war, dass queere Menschen – Gott sei es gedankt - heute von dem zehren können, was andere queere Menschen in den letzten Jahren und Jahrzehnten an Aufklärungsarbeit geleistet haben, so dass Queereness heute eine anerkannte und geschätzte Lebenswirklichkeit in der Vielfalt des Lebens in unserer Gesellschaft ist.

Wie war das gestern mitten in unserer Stadt? Auf der einen Seite auf dem Sonnenhausplatz friedlich ausgelassen feiernde Menschen, bunt, fröhlich, miteinander verbunden. Auf der anderen Seite eine kleine Gruppe schwarz gekleideter Jugendliche, nicht mehr als 15 bis zwanzig, die lautschreiend den Untergang des Abendlandes propagierten, weil das hehre Familienbild ausgehöhlt werden würde.

Dazwischen ein Band von Polizisten, die eine Eskalation vermeiden wollten. Heute muss die Polizei die Freiheit der Menschen schützen, weil einige Wirrköpfe auf Krawall gebürstet sind. Ein Dank an die vielen Beamten, die anders als damals 1969 auf der richtigen Seite stehen.

Noch nie habe ich so viele Polizisten in der Stadt gesehen. Selbst die Citykirche war mit Sperrgittern isoliert worden, damit die wütenden Schreihälse nicht von der Seite die Demonstration stören könnten.

Die Luft wird rauer in unserer Gesellschaft, unaufhaltsam frisst sich Unfrieden hinein in unsere Gesellschaft, Worte werden verletzender, Handgreiflichkeiten gefährlicher.

 

So oft werden queere Menschen wieder Opfer verbaler und körperlicher Gewalt und andere klatschen Beifall, weil endlich mal wieder jemand für Ordnung sorgt. In unsicheren Zeiten suggerieren Radikale Sicherheit dadurch, dass man halt nur abschneiden, ausgrenzen, aussondern muss, was einem nicht in den Kram passt, was in ihren Augen unnormal ist.

Vor einem Jahr wurde das queere Jugendzentrum auf der Stepgesstraße eröffnet. Heute, ein Jahr später, müssen sich junge Menschen wieder ängstigen und fühlen sich unsicher im eigenen Zuhause.

Das gesellschaftliche Miteinander ist immer offensichtlicher in unseren Tagen geprägt von Missgunst. Menschen gönnen einander das Leben und die Liebe nicht. Es herrscht ein Klima der Angst. Beschimpfungen, Anfeindungen, ja auch körperliche Aggression sind die Folge davon, da rechte Parolen stillschweigend salonfähig gemacht werden.

So beißt sich der Hass und die Gewaltbereitschaft immer offensichtlicher ihren Weg vom Kopf ins Herz.

Das Zusammenleben ist schwieriger geworden ist, weil die Diversität des Lebens offensichtlicher geworden ist als in vergangenen Zeiten. Und weil so manche Menschen ihr Leben lieber schlicht und einfältig leben wollen, suchen sie der Komplexität der Wahrheiten dadurch auszuweichen, indem sie Grenzen ziehen, Menschen ausschließen, Fremde zu Sündenböcken deklarieren und die Geschlechtervielfalt zu ignorieren versuchen.

Menschen sehnen sich nach einer Welt, in der Gleichheit mit Uniformität verwechselt wird und Freiheit nur die eigene sein darf und nicht die der anderen.

Diese Enge und Selbstgenügsamkeit sprengt Gott geradezu und spannt seinen Regenbogen aus, schillernd in allen Farben.

Und Paulus formt aus, wer und was unter Gottes Schutz steht: Was für ein wunderschöner Text. Was für eine wunderbare Hoffnung: In unserer Welt ist jede und jeder, alles was lebt, unverzichtbar wichtig.

 

Queer ist eine Schöpfungsvariante Gottes, eine unverzichtbare und wertvolle Bereicherung für das Ganze. Menschen sind eins in totaler Verschiedenheit. Das ist eine andere Botschaft als die Botschaft derer, die lautschreiend den Untergang des Abendlandes prophezeien, wenn ein Transmensch sich aus dem Schutz der Unsichtbarkeit heraustritt und sich zu sich selbst bekennt oder ein queeres Paar mit Kindern sich als Familie bezeichnet.

Paulus hat diesen Brief an die Gemeinde in Korinth geschrieben, weil sie unter sich zerstritten war. Er wollte warnen vor zu befürchtenden Spaltungen innerhalb der Gemeinde. Deshalb der Appell, sich nicht abzukapseln, sondern zusammenzubleiben. Diversität ist kein Unglück, sondern ein Glück. Göttlich geschenktes Glück.

Es ist so toll, dass ihr heute Mittag alle hier seid und diese Botschaft durch ihr und euer Hier-sein bekräftigt und dass ihr es hier tut, hier in Hückelhoven, draußen, damit alle es sehen und hören können.

An diesem Wochenende sind queere Menschen in unserer Stadt sichtbarer als sonst. Sie wollen das Leben feiern, Menschen mit so vielen verschiedenen, auch einander fremden Lebenserfahrungen zusammenführen. Es braucht öffentlich sichtbare und hörbare Bekenntnisse, es braucht das offene Bekenntnis für einen heilsamen Lernprozess: nämlich zu erkennen und erfahren zu dürfen, dass jede und jeder und alle einen wichtigen Teil dazu beitragen, dass ein friedliches Miteinander gelingen kann.

So fragil das menschliche Miteinander in unserer Gesellschaft gerade ist, so mutig und lebenswichtig ist diese christliche Botschaft gerade heute: „Gott aber hat den Leib so zusammengefügt, dass er dem benachteiligten Glied umso mehr Ehre zukommen ließ, damit im Leib kein Zwiespalt entstehe, sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen.“