Am 5. Sonntag der Fastenzeit

Panorama-innen-1 Kopie (c) J. Barrawasser
Panorama-innen-1 Kopie
Datum:
So. 29. März 2020
Von:
Christoph Simonsen

An diesem 5. Sonntag der Fastenzeit möchte ich Sie einladen, zuhause im Kreis Ihrer Lieben, so Sie denn mögen, gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Anregungen dazu darf ich Ihnen anbieten in den folgenden Texten:

 

 

Tagesgebet:

Bleibe bei uns, Gott, du Wegbegleiter, Du Gott des Aufbruchs, Du Gott mit Herz und Sinn, du Gott des Mutes und des Wagnisses, du Gott des Himmels und der Erde. Du hast Worte, die Berge versetzen können, Worte, die Leben schaffen, Worte, die die wunderbare Ahnung in uns hervorlocken, dass unser Lebensweg Sinn und Ziel hat. Geh nicht fort von uns, stärke unsere Füße und unsere Sinne, bringe uns in Bewegung, damit wir finden, was unser Leben erfüllt. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn und Bruder. Amen!

 

Evangelium: Johannes 11,1-45

Ein Mann war krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf der Maria und ihrer Schwester Marta. 2 Maria war jene, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren abgetrocknet hatte; deren Bruder Lazarus war krank. 3 Daher sandten die Schwestern Jesus die Nachricht: Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank. 4 Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes. Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. 5 Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus. 6 Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt. 7 Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. 8 Die Jünger sagten zu ihm: Rabbi, eben noch suchten dich die Juden zu steinigen und du gehst wieder dorthin? 9 Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; 10 wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist. 11 So sprach er. Dann sagte er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken. 12 Da sagten die Jünger zu ihm: Herr, wenn er schläft, dann wird er gesund werden. 13 Jesus hatte aber von seinem Tod gesprochen, während sie meinten, er spreche von dem gewöhnlichen Schlaf. 14 Darauf sagte ihnen Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben. 15 Und ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war; denn ich will, dass ihr glaubt. Doch wir wollen zu ihm gehen. 16 Da sagte Thomas, genannt Didymus, zu den anderen Jüngern: Lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben! [1] 17 Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. 18 Betanien war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. 19 Viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten. 20 Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus sitzen. 21 Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. 22 Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben. 23 Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. 24 Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag. 25 Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, 26 und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? 27 Marta sagte zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll. 28 Nach diesen Worten ging sie weg, rief heimlich ihre Schwester Maria und sagte zu ihr: Der Meister ist da und lässt dich rufen. 29 Als Maria das hörte, stand sie sofort auf und ging zu ihm. 30 Denn Jesus war noch nicht in das Dorf gekommen; er war noch dort, wo ihn Marta getroffen hatte. 31 Die Juden, die bei Maria im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass sie plötzlich aufstand und hinausging. Da folgten sie ihr, weil sie meinten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen. 32 Als Maria dorthin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sagte zu ihm: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. 33 Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, war er im Innersten erregt und erschüttert. 34 Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie sagten zu ihm: Herr, komm und sieh! 35 Da weinte Jesus. 36 Die Juden sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte! 37 Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb? 38 Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war. 39 Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, sagte zu ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag. 40 Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? 41 Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. 42 Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. 43 Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! 44 Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen! 45 Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.

 

Der Versuch einer Deutung des Schriftwortes:

Wie Jesus mal wieder alles menschliche Denken durchkreuzt

Zu Anfang eine Klarstellung: In der sogenannten Lazarusgeschichte geht es nicht vorrangig um Lazarus, sondern um uns. Es geht um Klarstellungen, um ein Aufdecken von Missverständnissen; es geht um unseren Glauben. Dieser Perikope sollten wir uns nüchtern stellen. Wir sollten uns ausnahmsweise mal nicht zu schnell von unseren Emotionen leiten lassen. Wir alle wissen, dass die Geschichte gut ausgeht und Lazarus zurück ins Leben findet; aber darauf kommt es nicht an.

 

Diese Geschichte ist gekennzeichnet durch ganz viel Verwirrung und von missverständlichen Bildern. Jesus redet von Schlaf, meint aber den Tod seines Freundes. Für ihn scheint der Tod aber etwas ganz Selbstverständliches zu sein; eine Wirklichkeit, die mehr zum Philosophieren einlädt, als in Trauer zu verfallen.

Jesus redet vom Licht und von der Dunkelheit. Er spricht von Auferstehung. Mit all dem spricht er für die, die ihm zuhören, scheinbar Selbstverständliches an: Licht ist immer besser als Dunkelheit, so denken wir doch; und das Leben ist eine Zeitenfolge, an deren Ende der Tod und das Jüngste Gericht und die Auferstehung stehen. Das alles entlarvt Jesus als viel zu kurzsichtig und viel zu irdisch. Was Jesus wohl sagen möchte: Gott ist ebenso im Licht wie in der Dunkelheit und Gott teilt das Leben nicht in ein Leben vor und ein Leben nach dem Tod. Gott ist vor dem Tod, er ist im Tod und er ist hernach; und Ewigkeit ist nicht etwas Neues nach der Zeitlichkeit. Jesus durchkreuzt das menschliche Denken; für ihn gibt es keine Weltenteilung, kein Diesseits und Jenseits. Für ihn ist einzig die Bindung an den Vater von Bedeutung. Wer in dieser Verbundenheit lebt, der lebt Gott, gleich ob er lebt oder gestorben ist.

 

Jesus ist es ein tiefes Bedürfnis, von sich zu erzählen, von seinem Glauben und Vertrauen, aber Martha und all seine Freundinnen und Freunde verstehen ihn nicht. Zum einen wohl deshalb, weil sie um Lazarus trauern, der gestorben ist; aber noch mehr verstehen sie Jesus nicht, weil sie verhaftet sind in einem tradierten Lebens- und Glaubensverständnis.

 

Wie kann Jesus so ruhig bleiben, ist doch ein lieber Mensch gestorben? Er wirkt geradezu kühl, distanziert, da er doch so ausschweifend über Krankheit, Schlaf, Tod und Auferstehung philosophiert und unbeirrt seinen Weg weitergeht. Er lässt sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen angesichts des Todes seines Freundes. Während alle anderen sich emotional mit der Traurigkeit solidarisieren, die Martha und die anderen gefangen nimmt, scheint Jesus teilnahmslos mit seinen Gedanken beschäftigt zu sein. Mir scheint, eher aus Mitleid, denn aus Überzeugung wendet er sich dem Schicksal des Lazarus zu und der Trauer der Umstehenden.

 

Der Rest ist dann schnell erzählt: Jesus kommt im Haus des Lazarus an, seine beiden Freundinnen Martha und Maria sagen, er komme zu spät und sind traurig, sie weinen; Jesus verwickelt sie wieder in ein eher kryptisches Glaubensgespräch; was er sagt, klingt wie von einer anderen Welt. Er kehrt dann in sich, betet, spricht dann wieder rätselhaft von seiner Erhöhung und zum Schluss geschieht das Unvorhersehbare: Lazarus steht auf. Lapidar heißt es zum Schluss: Viele der Juden kamen zum Glauben an ihn.

 

Dieses Ganze alles bringt mich zu der Überzeugung, dass Jesus mehr seinen und auch unseren Glauben in die Mitte dieser Geschichte rücken möchte und Lazarus eher eine beiläufige Begebenheit in dieser Geschichte ist. Äußerlich betrachtet macht sich Jesus auf den Weg zu Lazarus, aber innerlich betrachtet, geht Jesus einen Weg, der ihn zu sich selbst führt.Es ist die Geschichte Jesu, der zu seiner eigenen Mitte, zu seiner eigenen Bestimmung, zu sich selbst findet. Es ist die Geschichte, die erzählt, wie man mit sich selbst Frieden und Klarheit findet. Es ist die Geschichte Jesu, der einer Selbstvergewisserung näher kommen möchte, wer er ist und was seine Bestimmung, seine Berufung ist. Es ist die Geschichte eines Menschen, der sich selbst sucht und offen dafür ist, mehr als sich selbst zu finden. Es ist die Geschichte eines Menschen, der Wege zu gehen bereit ist, die nicht vorgezeichnet und nicht abgesichert sind. Es ist die Geschichte eines Menschen, der über das Leben nachzudenken vermag, ohne sich von der Wirklichkeit des Todes abschrecken zu lassen. Das Kryptische, das Geheimnisvolle in den Worten Jesu wird nicht aufgelöst, aber es bindet sich ein in eine tiefe persönliche Glaubwürdigkeit des Menschen Jesu. Auch in der Frage, auch im Widerspruch zwischen ihm selbst und seiner Umwelt, auch im Bangen und Suchen gibt er nicht auf, auf Gott zu bauen. „Lasst uns gehen“, fordert Jesus seine Freundinnen und Freunde auf. Er sagt es heute uns, die auf dem Weg sind, einem gänzlich unvertrauten Ostern entgegen. Nicht irgendwann mit Gott rechnen, nicht das kalendarische Osterfest als das wirkliche Ostern ansehen, ja nicht einmal  die Ewigkeit im Blick habend, die alle Erfüllung schenken wird, sondern mit Gott rechnen hier und heute und die Ewigkeit heute erleben, gerade in diesen Tagen, die uns so gefangen nehmen – im wahrsten Sinn des Wortes – gerade in diesen Tagen das Leben feiern: anders, aber lebendig anders, so lasst uns gehen.

 

Fürbitten:

Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen! Jesus Christus hilft uns, daran zu glauben, dass immer wieder Veränderung möglich ist -  sogar vom Tod zum Leben. Deshalb bitten wir vertrauensvoll:

           

  • Von der Angst zu mehr Klarheit.
    Wir beten für die Menschen in Syrien, Afghanistan, den vielen kriegserschütterten Ländern auf unserer Erde. Für alle, die dort leben, wo Terror und Gewalt herrschen.

 

  • Vom Hunger zum Satt-Sein.
    Wir beten für die Menschen, die in  Hunger leben und für  die Nichtsesshaften und Bedürftigen in unserer Stadt.  Für alle, denen das Nötigste zum Leben fehlt.

 

  • Von Unsicherheit zur Sicherheit.
    Wir beten für die Politikerinnen und Politiker der EU auf der Suche nach gemeinsamen Antworten auf die Bedrohung durch das Covid-19 Virus. Für die vielen Menschen, die die unerwartete Situation mit Sorge um ihre Zukunft erfüllt.

 

  • Von Unaufmerksamkeit zu Solidarität.
    Wir beten für das Hilfswerk Misereor, das den Blick in die Welt öffnet und aufmerksam macht auf Menschen in Not und auf die vielen guten Ideen, die wachsen können, zum Beispiel in Burkina Faso. Für alle, die mit Menschen in Not solidarisch sind und aktiv werden.

 

  • Von der Perspektivlosigkeit zu neuen Plänen.
    Wir beten für alle jungen Menschen, deren Planungen für einen Schulabschluss durch Schulschließungen durcheinander geraten sind. Für alle, die für einen guten Abschluss arbeiten. Für Eltern und Freunde, die junge Menschen bei ihrer Suche nach Orientierung begleiten.

 

Wir können unsere Hilflosigkeit aussprechen, Gott,
und du stärkst uns mit neuer Hoffnung. 
Dafür danken wir dir heute und alle Tage unseres Lebens. Amen

 

Friedensgruß:

Gott ist nicht einsames Ich, das sich in sich selber schließt, das sich je schon verwirklicht hat und das dann einige Bildchen macht von sich, etwas kleiner und missratener und nicht ganz so großartig und deswegen mit schwierigen Bedingungen, aber in denen ein bisschen etwas von seinem Selbst sich wiederholt. Wir sind nicht die Karikaturen Gottes, die missglückten, durch die Endlichkeit verdorbenen Gottesbilder; nein. Gott selber ist in sich lebendige Beziehung, er sagt von aller Ewigkeit her nie „ich“, ohne „du“ zu sagen. Er ist von allem Anfang an einer, der sich in sich selber verschenkt und überschreitet, ich und du.

 

Schlussgebet:

Du befreiender Gott, wir danken Dir für das neue Leben, das Du uns in Deinem Sohn geschenkt hast. Schenke uns Vertrauen und Mut, uns ganz bewusst und bedenkenlos für dieses Leben zu entscheiden und uns in Dir festzumachen. Lass uns aus der Geborgenheit in Dir die Kraft erwachsen, anderen Menschen auch zu einem selbstverantworteten Leben zu verhelfen. Lass uns alles tun, was uns persönlich möglich ist, um diese Erde bewohnbar zu gestalten für alle, damit alle ihre Wege eines erfüllten Lebens finden können. So bitten wir durch Christus, unseren Herrn und Bruder. Amen!

 

Christoph Simonsen