Ansprache von Christoph Simonsen zum 31. Sonntag im Jahreskreis C

31. Sonntag im Jahreskreis C - 2019

Datum:
So. 3. Nov. 2019
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Lesung aus dem Buch der Weisheit  11,22 – 12,2

Herr, die ganze Welt ist ja vor dir wie ein Stäubchen auf der Waage, wie ein Tautropfen, der am Morgen zur Erde fällt. Du hast mit allen Erbarmen, weil du alles vermagst, und siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie umkehren. Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen. Wie könnte etwas ohne deinen Willen Bestand haben oder wie könnte etwas erhalten bleiben, das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre? Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens. Denn in allem ist dein unvergänglicher Geist. Darum bestrafst du die Sünder nur nach und nach; du mahnst sie und erinnerst sie an ihre Sünden, damit sie sich von der Schlechtigkeit abwenden und an dich glauben, Herr.

 

Evangelium Lk 19,1-10 

In jener Zeit kam Jesus nach Jéricho und ging durch die Stadt. Und siehe, da war ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war reich. Er suchte Jesus, um zu sehen, wer er sei, doch er konnte es nicht wegen der Menschenmenge; denn er war klein von Gestalt. Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste. Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben. Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf. Und alle, die das sahen, empörten sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt. Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wenn ich von jemandem zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück. Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.

 

Ansprache

Bob Dylan ist Ihnen sicher nicht unbekannt; wenn ich mich so in die Runde schaue, da sind doch sicher einige Fans von ihm darunter. Und dann kennen sie ganz sicher auch sein Lied: „knockin‘ on heavens door:

Mama, take this badge off o' me
I can't use it anymore
It's gettin' dark, too dark to see
I feel I'm knockin' on heaven's door

Mama, nimm dieses Abzeichen von mir.
Ich brauche es nicht mehr.
Es wird dunkel, zu dunkel um etwas zu sehen.
Ich fühle mich, als klopfe ich an die Himmelspforte.

Mama, vergrabe meine Waffen.
Ich kann mit ihnen nicht mehr schießen. 
Der lange schwarze Schatten senkt sich ab.
Ich fühle mich als klopfe ich an die Himmelspforte.

Bob Dylan bittet seine Mutter, ihn aus den Zwängen des Krieges (des Vietnamkrieges) zu befreien. Der Sohn bedrängt die Mutter, mit all ihrer zur Verfügung stehenden Autorität dem Krieg ein Ende zu setzen. Er fühle sich, als klopfe er an die Himmelspforte, als komme sein Leben an ein Ende. Für mich sind das betörende Worte. 

 

Wer so tiefe, bedrängende, beängstigende Gefühle in Worte zu fassen vermag, die keinen unberührt lassen, der hat in der Tat einen Preis der Worte verdient. Sicher wissen Sie es noch: 2016 erhielt Bob Dylan für ganz viele sehr überraschend den Literatur-Nobelpreis.

„Ich fühle mich, als klopfe ich an die Himmelspforte“; ich ahne, dass ich dem Tod ganz nahe bin. So ähnlich müssen sich die Israeliten auch gefühlt haben in der Gefangenschaft Ägyptens. Davon erzählt die heutige Lesung. Es ist wie damals in den 70iger Jahren und es ist wie heute, fast 50 Jahre später: Immer wieder Krieg und immer wieder Menschen, die sich nichts mehr ersehnen als Ruhe und Frieden und die Chance, ihr bescheidenes Leben leben zu dürfen. Und, Gott sei es gelobt, immer wieder gibt es Menschen, denen es gelingt, den Menschen Hoffnung zu schenken, Schuld hinter sich zu lassen und zurückzukehren zu einer erstarkten Kraft der Solidarität. 

Dort, wo das Volk der Israeliten Knechtschaft durchleiden musste. Dort, gerade dort, spricht ein Mensch von Gott als dem großen Freund des Lebens. Dort, wo sich in den letzten Jahrzehnten der alten Zeitrechnung Gläubige und der Religion fern stehende Juden gegenseitig verfolgt haben und verleumdet; dort, wo die einst erfahrene Verbundenheit, als ein Volk zusammen zu gehören, in absurden Kleinkriegen geradezu verraten wurde: dort spricht einer von der Hoffnung, dass die Menschen von der Schuld und der eigenen und eigen verschuldeten Zerrissenheit  lassen werden und zurückkehren zur Kraft der Solidarität.

 „Du Gott, hast mit allen Erbarmen. Du liebst alles, was ist“. Das ist kein Zufall, dass immer wieder Gott diese Hoffnung ist.

Sind Sie, liebe Zuhörende, sind wir wirklich besessen von dieser Zuversicht, dass Gott mit allen Erbarmen hat. Und wenn wir es sind, wie erweist sich diese unsere Besessenheit von dem göttlichen Erbarmen? Da wo wir Menschen Grenzen setzen, zum Beispiel zwischen Ost und West in unserem eigenen Land, zwischen Türken und Kurden in unserer gar nicht so weiten Nachbarschaft, zwischen Großgrundbesitzern und der indigenen Bevölkerung der Amazonasgebiete, um nur einige konkrete Beispiel zu nennen, die in unseren Tagen diskutiert werden: Wo und wie bekennen wir uns da zu Besessenen der göttlichen Hoffnung? Wer von uns ruft heute in die Welt hinaus, dass Gottes Liebe grenzenlos ist genau dort, wo wir Menschen einander durch Grenzen trennen und Menschen an Grenzen ihrer Ohnmacht zerbrechen? 

Gut, dass es auch heute Menschen gibt, die es wagen, von der Liebe Gottes zu sprechen und daran erinnern, dass diese göttliche Liebe nicht ohne Konsequenz für uns Menschen sein kann. Bischof Kräutler zum Beispiel, der mutige Bischof aus Brasilien, der sich ohne wenn und aber an die Seite der unterdrückten indigenen Völker im Amazonasgebiet stellt und in den vergangenen Tagen in Rom nicht aufgehört hat davon zu erzählen, dass Kirche eines nicht sein darf: traditionsbesessen. Die Kirche Gottes muss bei den Menschen sein; einladend muss sie sein, frei von allem Dogmatismus.

 

Das heutige Evangelium präzisiert diese Liebe Gottes, verdeutlicht, wie Gott handelt, um die Hoffnung der Menschen zu nähren. Zachäus ist von Natur an von kleiner Statur. Man könnte ihn übersehen. Anerkennung hat er sich ergattert durch seinen Beruf als Zöllner. Dieser Zachäus nun steigt auf einen Baum, um Jesus besser sehen zu können. Er ist neugierig; er ist im wahrsten Sinn des Wortes gierig nach Neuem. Er will nicht mehr nur als Statussymbol wahrgenommen werden, sondern als Mensch, auch als kleiner Mensch.

 

Dies meint er erfahren zu können, wenn er Jesus näher kennenlernt. Zachäus will etwas verändern in seinem Leben, will ausbrechen. Er will ausbrechen aus dem gesellschaftlichen System, in dem die da oben die da unten ausnutzen. Er will – symbolisch gesprochen - anderen nicht mehr die Pistole auf die Brust setzen: Gib du mir von Deinem, damit es mir gut geht. Er hat die Nase voll davon, vom Gewinn der anderen zu profitieren als Zöllner. Das kann doch nicht der Sinn des Lebens sein, auf Kosten anderer zu leben. Das, so hat er gehört, hat dieser Jesus immer wieder gepredigt. Und davon, dass geben seliger ist als nehmen. Und davon, dass jede und jeder unendlich viel Reichtum in sich trägt. All das hat Zachäus neugierig gestimmt; deshalb ist diese Neugierde in ihm hochgekommen, um zu schauen, was das für einer ist, dieser Jesus. Und ob er glaubwürdig ist oder wie so viele andere nur ein Schwätzer vor dem Herrn. 

 

Und was macht dieser Jesus? Er schaut Zachäus an. Ihn, auf den alle mit Verachtung schauen, weil er machtvolles Glied des Systems ist, ihn schaut er an und bittet um Gastfreundschaft. Und da spürt er: in der Gastfreundschaft erweist sich Zukunft: göttliche Zukunft. 

 

 

Zachäus braucht diese Abzeichen nicht mehr, die ihn ausweisen als jemanden, der über andere bestimmt, über andere herrscht. Er braucht die Uniform des Zöllners nicht mehr, die ihm die Anerkennung der anderen sichert, wenn auch nur aus Angst vor der Macht, die sich in dieser Uniform präsentiert. Jesus sieht den Menschen in Zachäus, nicht den Staatssoldaten, den Parteisoldaten, den Systemsoldaten. 

 

Und Zachäus nimmt im Blick Jesu wahr, wie nah er der Himmelspforte im Sinne von Bob Dylan gestanden ist, weil er sich verkauft hat an den Staat, an die Partei, an das System und sein Leben dem Krieg verschrieben hat, dem Krieg der Gier.

 

„Mama, vergrabe meine Waffen, ich kann mit ihnen nicht mehr schießen“. Welche Waffen müssen wir vergraben? Und welche Abzeichen müssen wir ablegen, um Hoffnung verbreiten zu können statt Angst?

Christoph Simonsen