Ansprache von Christoph Simonsen zum 3. Sonntag im Jahreskreis A

Datum:
So. 26. Jan. 2020
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

3. Sonntag im Jahreskreis (A)

 

Lesung: 1 Kor 1,10-13.17

Ich ermahne euch, Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn: Seid alle einmütig, und duldet keine Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung. Es wurde mir nämlich, meine Brüder, von den Leuten der Chloe berichtet, dass es Zank und Streit unter euch gibt. Ich meine damit, dass jeder von euch etwas anderes sagt: Ich halte zu Paulus - ich zu Apollos - ich zu Kephas - ich zu Christus. Ist denn Christus zerteilt? Wurde auch Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden? Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden, aber nicht mit gewandten und klugen Worten, damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird.

 

Ansprache

Es gibt wunderbare Monumente und Bauwerke, die für die Ewigkeit bestimmt sein müssen: der Aachener Dom zum Beispiel, oder der Mariendom in Neviges, von Gottfried Böhm geschaffen, der in diesen Tagen seinen 100. Geburtstag feiern darf. Keine feste Burg sollte die Kirche sein, kein Monument der Macht und der verklärt klerikalen Repräsentanz, sondern ein Zelt, beweglich, leicht, ja sogar verletzlich. Unmittelbar nach dem Ende des 2. Vatikanischen Konzils gebaut, stand der Altar nicht mehr erhaben am Ende des Kirchenraumes, abgekapselt von der Gemeinde, sondern nahezu mittendrin: Christus in der Mitte, Priester und Gemeinde als eine communio miteinander verbunden. Ein wenig erinnert mich der Mariendom an ein neues monumentales Bauwerk unserer Zeit: Die Elbphilharmonie in Hamburg. Beide Bauwerke verbindet etwas Wesentliches: So grandios beide Bauwerke sind, so revolutionär sind ihre Aufgaben, wozu sie bestimmt sind. Sie wollen die Ideale des Lebens und gleichzeitig die Verwundbarkeit alles Lebendigen zusammenführen. 

 

Bei der Uraufführung in der Elbphilharmonie hat der Komponist Wolfgang Rihm verschiedene Texte des Dichters Hans Henny Jahnn vertont. 

 

Deshalb waren die Gäste in besonderer Weise herausgefordert, nicht nur der grandiosen Musik zu lauschen, sondern auch auf den Text zu achten. Und wer sich tatsächlich dieser Mühe unterzog, der wurde ziemlich abrupt auf einen harten Boden der Tatsachen zurückgeworfen. Hieß es doch in einer Zeile, dass mit der Musik der Schmutz der Wirklichkeit Einzug halten würde in dieses unbefleckte bauliche Wunderwerk. Der Mensch hinterlasse von nun an zerstörerische Spuren in diesem Gebäude, wenn sich der Stachel des Cellos in die Podiumsplanken bohrten, wenn das Kondenswasser der Posaunen auf den Boden rinnen würde und wenn die verklebten Kaugummis unter den Schuhen der werten Gäste die feingliedrigen Stufen der Treppen beschmutzten. Man sagt: Im Verlauf einer der Generalproben wäre eine Flasche mit Granatapfelschorle umgefallen  und hätte einen roten Fleck auf dem Boden hinterlassen, der nicht mehr ganz entfernt werden konnte. Dieser Fleck wird in die Geschichte eingehen als der erste Fleck im unbefleckten Gebäude der Elbphilharmonie. 

 

Wolfgang Rihm hat es geschafft, eine ziemlich nüchterne Wahrheit in ein traumhaft schönes musikalisches Meisterwerk zu verpacken. Überall da, wo der Mensch hinkommt, da hinterlässt er Spuren. Mag etwas auch noch so perfekt und vollkommen sein, wir Menschen sind dem Schicksal unterworfen, allem Heilen, allem Ganzen und Vollkommenen allein dadurch, dass wir da sind, Narben, Risse, Verunreinigungen zuzufügen. Weil wir als Menschen unvollkommene Geschöpfe sind, ist alles, was um uns herum geschaffen ist, der gleichen Unvollkommenheit ausgesetzt. Ähnliches vermittelt ja auch die Kirche von Gottfried Böhm in Neviges: Dort feiern die Menschen das Schönste, was zu feiern Menschen möglich ist: Gottes Gegenwart in der Welt; und zugleich tun sie dies als Menschen, als unvollkommene Ebenbilder Gottes, die immer wieder neu zerstören, was ihnen geschenkt ist. In der Kirche von Böhm versichtbart dadurch, dass der Altar nicht erhoben in einer Apsis steht und der Priester als „Gesandter Gottes“ sozusagen vermittelnd zwischen den Menschen und Gott steht, sondern alle auf einer Ebene stehen, alle in gleicher Weise hoffend auf die Gnade Gottes.

 

Alle Mühe und aller guter Vorsatz können nicht verbergen, dass die Welt als Ganzes kaputt ist und schmutzig. Das ist die Tragik des Lebens: Wer immer sich an der Welt und am Leben erfreuen möchte, der muss zugleich der Wirklichkeit ins Auge schauen, dass diese Welt ein – ich meine dies im übertragenen Sinn- Drecksloch ist. Denn wir Menschen sind konstitutionelle Zerstörer sowohl dessen, was uns geschenkt wurde, als auch dessen, was wir selbst geschaffen haben. 

 

Das klingt ernüchternd, frustrierend. Das soll es aber keinesfalls sein. Idealen hinterher jagen kann nur, wer auch welche hat. Deshalb tut es not, sich seiner Lebenswerte immer wieder neu zu vergewissern. Auch wenn wir immer hinter ihnen herlaufen werden, auch wenn wir ihnen nie gerecht werden: Ohne Werte und Ideale würden wir im Morast der Unmenschlichkeit gänzlich versinken. Ohne die Ideale von Menschlichkeit, Respekt vor der Lebensvielfalt und des göttlichen Auftrags der Mitverantwortung für unsere Schöpfung, würde unsere Gesellschaft, unsere Welt hilflos umherirren. 

 

Ich darf noch einmal auf Wolfgang Rihm zurückkommen, den Komponisten der Hamburger Uraufführung. Er hat eine nüchterne Wahrheit in eine grandiose Musik gepackt. Ich bin mir allerdings sicher, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer mehr auf die Klänge der Musik geachtet haben als auf den dahinter liegenden Text. 

Das sei ihnen an solch einem wunderbaren Konzertabend sicher auch vergönnt gewesen. Aber im alltäglichen Leben tut’s das nicht. Wichtige Botschaften sollten nicht versteckt werden, so nach dem Motto, man habe sie benannt, aber schön in Watte gepackt, auf das sie nicht so bitter wirke. Es braucht einen offenen Dialog, manchmal auch ein klares und klärendes Wort. Und eben das hören wir in der heutigen Lesung von Paulus. Er schreibt seiner Gemeinde in Korinth, wohlwissend, dass dort gerade mal wieder Streit und Kompetenzgerangel herrscht. Es ist, wie es ist: auch in einer christlichen Gemeinschaft geht es nicht anders zu als in der Welt insgesamt. Auch da geht es um Rechthaberei, Selbstbeweihräucherung und Machtgelüste. Paulus nennt all das beim Namen, verschweigt nicht den Streit. Zugleich aber erinnert er an das Ideal, dem sich die Christinnen und Christen verschrieben hätten: Jesus Christus, der die Menschen zu einen gesinnt war; der die Menschen in aller Unterschiedenheit geliebt und geachtet hat; der eine frohe Botschaft verkündet und gelebt hat, die Gräben zu überwinden und Differenzen auszuhalten vermochte in Achtung und Respekt vor der Einmaligkeit eines jeden Lebensentwurfes.

 

Ein Ideal unseres Glaubens ist die communio, die Gemeinschaft, in der Frieden und Eintracht herrscht und in der jeder und jedem mit Respekt begegnet wird; wo jedem Menschen die Chance gegeben wird, der zu werden, der er im Herzen Gottes ist, auch dann, wenn sein Lebensentwurf ein anderer ist als der seines Nachbarn. Wir alle wissen, dass dieses Ideal ein Traumgebilde ist, unerreichbar und weltfremd. Es aber deshalb aufgeben? Nein. Anstatt die Ideale über Bord zu werfen ist der glaubwürdigere und der nachhaltigere Weg, jedes kleine Mühen wahrzunehmen, wo Menschen diesem Ideal eine Chance geben, und dies in aller Unvollkommenheit. Die Elbphilharmonie, so traumhaft schön sie heute ist, sie wird immer wieder renovierungsbedürftig sein, aber die Musik, die dort ertönt, sie wird auch in 100 Jahren die Menschen verzaubern und betören. Dafür lohnt sich jede Mühe, sie immer wieder zu renovieren.

 Christoph Simonsen