Ansprache von Christoph Simonsen zum 21. Sonntag im Jahreskreis C

21. Sonntag im Jahreskreis C - 2019

Datum:
So. 25. Aug. 2019
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium Lk 13,22-30:

Auf seinem Weg nach Jerusalem zog Jesus von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und lehrte. Da fragte ihn einer: Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden? Er sagte zu ihnen: Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen; denn viele, sage ich euch, werden versuchen hineinzukommen, aber es wird ihnen nicht gelingen. Wenn der Herr des Hauses aufsteht und die Tür verschließt und ihr draußen steht, an die Tür klopft und ruft: Herr, mach uns auf!, dann wird er euch antworten: Ich weiß nicht, woher ihr seid. Dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben doch in deinem Beisein gegessen und getrunken und du hast auf unseren Straßen gelehrt. Er aber wird euch erwidern: Ich weiß nicht, woher ihr seid. Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr seht, dass Abraham, Ísaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sind, ihr selbst aber ausgeschlossen seid. Und sie werden von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen. Und siehe, da sind Letzte, die werden Erste sein, und da sind Erste, die werden Letzte sein.

 

Ansprache

„Wir haben doch mit dir gegessen und getrunken, und du hast in unseren Straßen gelehrt“. Das müsste heute wohl heißen: ‚Wir haben doch mit dir Eucharistie gefeiert und du hast uns in unseren Kirchen gelehrt (bzw. lehren lassen)‘. Tja, und das reicht wohl nicht, eine wirklich tragende Erfahrung vom Reich Gottes zu bekommen.

„Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten“ kommen rein ins Reich Gottes, die Mitläufer (und das ist hier wörtlich zu nehmen) wohl eher nicht. Diejenigen, die dem Vorgedachten anderer mehr zutrauen als den eigenen Gedanken; diejenigen, die sich lieber am Treppengeländer überholter Wahrheiten festhalten, anstatt freifüßig voran zu gehen; diejenigen, die nachlaufen, anstatt voran zu gehen.

Jesus vermittelt den ihm Zuhörenden eine andere Art des Zusammenlebens: Diejenigen, die sich aufmachen, mit Gottvertrauen gottverlassene Wege zu gehen wie Abraham; diejenigen, die infrage stellen und lauthals kritisieren, was zu sehr nach Routine und Schema „F“ abläuft, wie es die Propheten getan haben: sie finden Zugänge zum Reich Gottes. Die Mitläufer, die ‚Ja und Amen-Sager‘ müssen wohl außen vor bleiben.

Auch wenn es verdammt schwer ist, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die getragen ist von Menschen verschiedenster Persönlichkeit die in den verschiedensten Lebensmodellen Erfüllung finden, es würde sich lohnen, das in aller Verschiedenheit Gemeinsame zu finden. Denn zweifelsohne gibt es etwas, was uns Menschen miteinander verbindet und aufeinander bezieht; aber vielleicht anderes, als wir bisher meinen, das es das ist. Viele in der Kirche glauben, dass die gefeierte Eucharistie Mitte und Maßstab der kirchlichen Gemeinschaft ist. Ich frage: Ist dem nach unserer Erfahrung wirklich so? Selten war so deutlich wie in unseren Tagen, dass wir als Kirche endlich wieder lernen müssen, realistisch zu werden. Wenn wir heute nicht der Wirklichkeit ins Auge schauen, wird die Kirche, wie wir sie heute kennen, dem Untergang geweiht sein. Davon bin ich fest überzeugt. Burkhard Hose, der Hochschulpfarrer in Würzburg sagt es noch deutlicher in seinem Buch, das im Oktober neu erscheinen wird: „Das Ende der Kirche in ihrer alten Gestalt hat etwas Apokalyptisches, Katastrophales an sich. Es ist das Fanal einer Kirche, deren Repräsentanten in so vielen Fällen das Leben von Menschen zerstört haben. Die meisten in unserer Gesellschaft verbinden mit ihr nur noch eines: den unglaublichen Missbrauch von Macht. Da ist nichts mehr zu retten.“ Sich in sakramentale Scheinwelten zu flüchten, in ein Denken, in eine Sprache, die die Menschen nicht mehr erreicht, wird nicht mehr fruchten.

Wenn wir so viel von Dialog reden, dann sollte und müsste das Konsens sein: So, wie es ist, so kann es nicht bleiben; Dialog macht nur Sinn, wenn das ersehnte Ziel offen ist. Und wenn es wirklich ein ersehntes Ziel von Kirche ist, dass Eucharistie Mitte und Halt sein soll, dann müsste und sollte Kirche auch Möglichkeiten und Zugänge eröffnen, dass die Menschen spüren, dass die Eucharistie Lebensquelle sein kann. Und die Vielfalt der menschlichen Persönlichkeiten müsste sich widerspiegeln in der Vielfalt der Möglichkeiten, Eucharistie zu feiern. Nicht Homogenität ist Fundament kirchlichen Lebens, sondern gerade Heterogenität, Verschiedenheit, die nicht großherzig geduldet wird, sondern im Gegenteil essentiell dazu gehört.

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In einem gewissen Sinn erkenne ich in der Botschaft Jesu heute einen Aufruf zur Vereinzelung. Jesus hinterfragt einen übertriebenen Gemeinsinn, dessen Gefahr darin besteht, in einem Herdentrieb zu münden, der dem einzelnen Menschen die Luft zum Atmen und die Möglichkeit einer individuellen Entwicklung nimmt. Jesus hinterfragt ein Kirchenbild, auch ein Gesellschaftssystem, das nur in der Summe aller eine Existenzberechtigung erkennt und in dem die/ der einzelne nur Füllmasse ist ohne Eigenwert – und noch tragischer, wo die und der einzelne sich selbst darin verliert.

Gott möchte den einzelnen Menschen wahrnehmen und er möchte die Einmaligkeit eines jeden und einer jeden erkennen können. Nicht, um den Menschen zu kontrollieren, wie die Türsteher vor der Disco, sondern um den Menschen umarmen zu können. Und bei jeder Umarmung möchte Gott die wunderbare Einzigartigkeit eines jeden Menschen spüren können.

Ja, gibt es immer wieder Augenblicke im Leben eines Menschen, wo Gott und Mensch unverwechselbar gegenüberstehen und anschauen, wie uns das Bild von der engen Tür verdeutlichen möchte. Es sind Augenblicke, wo der Mensch an einem Scheideweg steht und nach dem fragt, wer sie/er ist, was sie ersehnt, wofür er sein Leben wagen möchte. In solchen Augenblicken steht der Mensch - bildlich gesprochen – vor einer engen Tür; es sind Augenblicke, in denen sich die Zeiten: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft bündeln; Zeiten, in denen alles aufeinandertrifft, was das Leben ausmacht; Zeiten, in denen die wunderbare Einmaligkeit es Lebens zur göttlichen Anschauung kommt; Zeiten tiefster Trauer, Zeiten auch höchsten Glücks; Zeiten, in denen einem gewahr wird, dass das Leben in einem Ausnahmezustand ist: da darf und da soll einem das größte Geschenk gewahr werden, das Gott jedem einzelnen Menschen gegeben: Die Garantie, dass es von keinem Menschen auf der Welt eine Kopie geben wird. Dieses göttliche Geschenk aber birgt auch die größte Verantwortung in sich, für die wir uns vor Gott zu verantworten haben.

Unsere Aufgabe wird es sein, Gott zu zeigen, dass wir uns dieser Einmaligkeit des Lebens gegenüber verantwortlich erweisen; der eigenen Einmaligkeit wie die der je anderen. Unser gemein sein, unser Feiern, nicht zuletzt dann, wenn wir der Gegenwärtig Setzung unseres Bruders Jesus in seiner unvergleichlichen Einmaligkeit in der Eucharistie gedenken, wird dann wirkkräftig sichtbar werden, wenn wir jeder und jedem die Chance geben, die engen Türen ihres/ seines Lebens durchschreiten zu können.

Christoph Simonsen