Ansprache von Christoph Simonsen zum 14. Sonntag im Jahreskreis (A)

Datum:
So. 5. Juli 2020
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Aus dem Evangelium nach Matthäus (11,25-30)

In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.

Ansprache:

Die Frage stelle ich mir immer wieder und in diesen Tagen wieder aus besonderem Anlass: Wie gelingt es, die Ruhe, die Gott mir angedeihen lassen möchte, an mich herankommen zu lassen, dass sie mich prägt, mein Reden und Handeln beeinflusst. Manchmal beneide ich den Zisterziensermönch in…. Auch wenn das nur eine idealisierte Phantasie ist: In einem geschlossenen, aber geordneten System wie einem Bettelorden zu leben, fernab der Welt, da könnte ich wohl diese Ruhe finden. Aber in der Welt, in der ich lebe, da werde ich permanent aus dem Gleichgewicht gerissen, von Ruhe weit und breit keine Rede, geschweige denn von einer Seelen- oder Herzensruhe. Und daran ändern auch Corona-Zeiten nichts, die einem äußerlich vielleicht mehr Zeit einräumen, aber führen sie auch zu einem inneren Gleichgewicht? Unsere Welt ist permanent so abartig, so laut in ihrer Zerrissenheit, dass eine kleine Unterbrechung durch Meditation oder Gebet vielleicht einen Augenblick der Ruhe gewähren, aber doch nicht mehr. Vor lauter Corona vergessen wir das Elend in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln; vor lauter Tönnies denkt keiner mehr an Syrien; die Lufthansa verbannt den unsäglichen Konflikt Israels mit den Palästinensern aus den Schlagzeigen und das gerade in diesen Tagen, wo der israelische Ministerpräsident Teile des Gebiets im Westjordanland entgegen aller bestehenden Verträge annektieren will. Alles Beispiele, nur Beispiele, weit weg von uns. Aber wir können auch in unsere Nachbarschaft schauen: Da hat ein Domkapitel eingeladen zu einer festlichen Segensfeier; gesegnet wurde das neue Sperrgitter vor dem Nordportal des Doms. Gottes Segen soll die Wildpinkler und Müllentsorger vertreiben. Ob Gott Lust hat, sich darum zu kümmern, das steht in den Sternen. Aber was ihn ganz gewiss wenig begeistern wird: Dass er einen Sperrzaun unter seinen Schutz stellen soll, der in windigen und kalten Zeiten den Obdachlosen unter dem Torbogen ein wenig Schutz und Wärme schenkt. Und was mich über die Maßen erregt: Einige Tonnen Stahl sind des Segens Gottes würdig; aber ob zwei Menschen, die in kirchlich nicht geordneten Verhältnissen leben – wie zum Beispiel wiederverheiratet Geschiedene oder gleichgeschlechtlich Liebende, darüber muss noch lange diskutiert werden und dann muss es ja auch noch von Rom genehmigt werden. Wer hat eigentlich in Rom nachgefragt, ob man Stahl segnen darf? Mich macht eine solche Pressemitteilung wütend, da ich in der vergangenen Woche von einem lieben Bekannten eine Nachricht erhielt, dass sich ein guter Freund in Polen das Leben genommen hat. Nicht einmal dreißig Jahre alt, hatte er die Kraft verloren, die Abneigung seiner Familie zu ertragen und der Leute in der Straße und in der Stadt, wo er wohnte, denn er war homosexuell. Und dann hat unsere Kirche Zeit, zu einer Segensfeier einzuladen, um ein Tor einzusegnen.

„Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seele“.  Wenn ich doch nur ein wenig von der Gesinnung Jesu hätte. „Lernt von mir“, sagt er. Ja, darum will ich mich mühen, zu lernen, gütiger zu werden, demütiger. Von dieser Seite Jesu muss ich mir eine gehörige Scheibe abschneiden. Sie vielleicht auch? Oft leitet mich das Unverständnis, der Zorn – und ehrlich: Darf, muss man nicht wütend sein, wenn sich ein Mensch umbringt, weil er ist, wie er ist, aber leider nicht so, wie die anderen ihn haben wollen? Muss diese jahrhundertealte Lehre von der Sündhaftigkeit gelebter Liebe zu einem Menschen des gleichen Geschlechts nicht wütend machen? Einer möge mir ein Wort Gottes nennen, das die Liebe zu einer Sünde erklärt. Wie kann das zusammengehen: Zorn und Güte, Ungeduld und Demut. Es braucht wohl beide Dimensionen in ihren Gegensätzlichkeiten. Erinnern wir uns, wie oft Jesus zornig war, wenn er auf Missstände in seiner Umgebung gestoßen ist. Ja, das ist wohl der lebenswichtige Lernprozess, dem wir uns Gott gegenüber verantworten müssen: gütigen Zorn und demütige Ungeduld zu bewahren in einer Gesellschaft, die Sperrgitter leichter dem Segen Gottes anzuvertrauen vermag als einander liebende Menschen.