Ansprache von Christoph Simonsen zum 13. Sonntag im Jahreskreis (A)

Datum:
So. 28. Juni 2020
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium nach Matthäus (10,37-42)

Jesus sagt: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden. Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, der wird den Lohn eines Propheten empfangen; und wer einen Gerechten aufnimmt, weil es ein Gerechter ist, der wird den Lohn eines Gerechten empfangen. Und wer einem dieser Kleinen auch nur einen Becher kalten Wassers zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch: Er wird nicht um seinen Lohn kommen.

 

Ansprache:

Ist hier jemand, der auf NeuLandSuche ist? Ich komme auf diese Frage, weil ich letztens eine Ausstellung besucht habe, die so betitelt war. Und heute ist ja auch Ferienbeginn. Ich geh mal davon aus, dass davon die meisten von uns zwar nicht mehr an die Schulferienzeit gebunden sind, aber dieses Gefühl von Urlaub, das steckt zumindest in mir schon drin in diesen Tagen und ich freu mich tierisch auf meine bevorstehende Reise Ende August. Neues entdecken, sich auf Neues einlassen, dem Gewohnten entfliehen und auf Entdeckungsreise gehen. Das sind tolle Aussichten. Am Strand spazieren gehen, das Rauschen der Wellen am Meer hören, Bücher lesen, wo man sonst nicht zu kommt, und die einen auf neue Ideen und Gedanken bringen, Urlaubszeit ist ganz gewiss NeuLandSuche. Aber dann? 

Wenn ich dieses Kunstwort in seiner ganzen Dimension ganz nahe  an mich herankommen lasse, dann bin ich gar nicht mehr so euphorisch. Neu-Land-Suche? Warum sollte ich neues Land suchen. Ich heiße zwar mit Vornamen Christoph, aber keineswegs mit Nachnamen Kolumbus. Und ehrlich gesagt, fehlt mir auch sein ‚Abenteuermut‘, mich blindlings einfach so auf den Weg zu machen. Mal im Urlaub was anderes sehen und an sich herankommen lassen; klar, das ist toll. Aber dann ist auch gut. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, sagt man. Als Rheinländer fühl ich mir pudelwohl, warum irgendwo anders hin. Wenn ich dieses existentiell an mich heranlasse, dann muss ich gestehen, dass mein Leben doch ganz zufriedenstellend in geordneten Bahnen verläuft, warum sollte ich mich verändern? Neu-Land-Suche! Ist meine Neugierde nach Neuem wirklich so eklatant verkümmert? Kann mich noch irgendwas erschüttern? In dem Ausstellungsraum lagen übrigens einfach Matratzen herum, Matratzen, die bunt und lustig eingefärbt waren. Soll mich das berühren? 

Matratzen, die zur NeuLandSuche auffordern? Schon komisch, oder? Aber vielleicht dann doch auch wieder nicht. Auf einer Matratze – im Bett – da kommen einem oft die tollsten Ideen, mir zumindest. Nur, umsetzen müsste man sie. Aber dazu kommt es dann viel zu selten.

Zu Neuem aufbrechen, im Sinne von ‚etwas wagen‘, Unvertrautem eine Möglichkeit geben, sich zu verwirklichen. Die künstlerisch gestalteten Matratzen, auf denen ich mich hinlegen könnte, um  meinen Phantasien freien Raum zu lassen, die erinnern mich an einen  Ausspruch, den ich mal irgendwo gehört habe: 'Gedanke stößt auf Realität'. In genau dieser Begegnung von Gedanke - entstanden und gewachsen in einer Zeit der Muße -  und Wirklichkeit, der wir Tag für Tag ausgesetzt sind: da  formt sich Sehnsucht, Ahnung von Neuem, und es kann sich eine neue Kraft entwickeln, die unsere Gedanken, unsere Sehnsüchte, zu materialisieren vermag. Trauen wir unseren Gedanken, diesen unausgesprochenen Wirklichkeiten, die tief in uns drin sind und die nach einer Realisierung schreien? Haben wir Mut zu einer ungeahnten Kreativität in uns und den guten Ahnungen in unserem Innern Gestalt zu geben? Dem Ausdruck zu verleihen, was an Sehnsucht in uns ist? Josef Beuys hat diesen unvergessenen Satz geprägt, dass jeder Mensch Künstlerin oder Künstler ist. Neues kann und soll Gestalt annehmen in unserem vorgeprägten Lebenssystem.

Freiheit, Unabhängigkeit beginnt im Kopf. "Die Gedanken sind frei". Biblisch übersetzt könnte dieser Satz heißen: "Der Geist ist es, der lebendig macht".  Leben, gleich ob nun als Künstler, als Handwerker, als Hausfrau oder als Rentner: Leben ist erst dann wirklich Leben, wenn es sich nährt aus der Freiheit der Gedanken und der Kraft der Sehnsucht. NeuLandSuche beginnt im Kopf und in der Seele. 

Nun ist heute im Evangelium  sehr explizit vom Leben die Rede. Scheinbar allerdings ganz anders intendiert, als ich es bisher versucht habe, ins Wort zu bringen. Scheinbar! Die Radikalität der Worte Jesu erwächst nämlich der Radikalität seiner inneren Freiheit. Jesus ist kein Fanatiker, kein Fundamentalist, es liegt ihm fern, seine Freundinnen und Freunde zu willenlosen Sklaven zu degradieren. Es liegt ihm fern, die Beziehungen zwischen Menschen als unwichtig zu erachten, so dass ausschließlich für ihn Platz im Leben sein sollte. Jesus predigt nicht die Ausschließlichkeit. Jesus predigt nicht: entweder-oder. Entweder Gott oder die Welt. Er deutet doch auf etwas viel Größeres hin: Beziehungen sind Bestandteil der Wirklichkeit unseres Lebens, und sie sind wichtig, lebensprägend und lebensgestaltend. Aber wichtiger ist es, sich bei aller Wertschätzung von Liebe und Freundschaft eine innere Freiheit zu bewahren und sich selbst zu trauen, sich Großes zuzutrauen, weil Gott Großes in uns hineingelegt ist. Der eigenen Unabhängigkeit vertrauen, um aus ihr heraus Neues zu schaffen, das sich nicht immer wieder ausbremst an Vorgegebenem, an Vertrautem und Tradierten.

Dies unterstreicht ganz besonders die heutige Lesung: Weil Elischa in der Frau Gottes Ebenbild entdeckte und weil die Frau in den prophetischen Worten Gottes Wort vernommen hat, war der Samen gelegt für neues Leben. Wer im anderen Gott zu sehen bemüht ist, dem gelingt es auch, die Welt als Frei-Raum zu erkennen. 

NeuLandSuche kann also auch verstanden werden als: GottSuche. Ist das nicht wahnsinnig spannend: beseelt, ja besessen zu sein von einer SehnSucht, das Dahinterliegende zu suchen, das Transzendente hinter dem Immanenten, mag man es Gott nennen oder anders. 

Und eine bemerkenswerte Erkenntnis erschließt sich besonders heute aus der alttestamentlichen Lesung: NeuLandSuche, GottSuche kann ebenso in und mit der Frau an ein gutes Ziel kommen, und nicht - wie in der Kirche scheinbar für alle Zeit in Stein gemeißelt - ausschließlich im Mann. Das war scheinbar zur Zeit des Elischa eine Selbstverständlichkeit. Ich geb die Hoffnung nicht auf, dass auch unsere Kirche offen ist für NeuLandSuche. Und wenn wir dabei ein bisschen nachhelfen: Schaden tut’s nicht.