Ruben und Baas, waren schon ziemlich genervt. Nach dem üblichen Montagnachmittag Spaziergang sollte es dann nach knapp zwei Stunden toben entlang der Rur doch mal endlich nach Hause gehen. Aber dann trifft Herrchen (also: ich) kurz vor der Haustür eine liebe Nachbarin und quatscht und quatscht und quatscht, während doch zuhause der Futternapf wartete. Selbst die ungeduldigsten Blicke nutzten nichts: Das Gespräch nahm kein Ende. Dabei ging es doch um garnichts Wichtiges: Die Wasserpumpe im Garten müsse überholt werden, erwähnte die Dame; es würde viel zu wenig regnen und im Garten würde alles zu vertrocknen drohen. Die Kinder kämen am Wochenende, um nach der Pumpe zu schauen und da stünde die Frage an, was denn Leckeres gekocht werden solle. Puh, das Herrchen redet vom Essen, dabei steht das Unsere doch schon fertig parat zuhause. Mach mal hinne, Chef. Und als gerade der Gesprächsstoff zu Ende schien, da holt der „Chef“ auch noch sein Handy raus und zeigte ein paar Fotos, die er unterwegs gemacht hatte, vom wachsenden Weizenfeld, wo mittendrin eine schön blühende Kamille leuchtete. So was Banales; wir haben Hunger, lass uns endlich gehen.
Ich hab die leidigen Blicke meiner Hunde sehr wohl bemerkt, aber ich hab gern mit meiner lieben Nachbarin diesen smal Talk gehalten. Über all dem Fragwürdigen in der heutigen Zeit – im wahrsten Sinn des Wortes – scheint es mir wichtig, das Unscheinbare, Banale, scheinbar Nebensächliche nicht zu vergessen: Und wenn es nur das freundliche Gespräch mit der Nachbarin ist oder das Staunen über eine kleine Kamille Pflanze mitten im großen Weizenfeld.
Zuhause hab ich dann aber doch ein schlechtes Gewissen bekommen, angesichts des Runs meiner Hunde hin zum Futter. Mir kam ein anderer Gedanke in den Sinn: Das Unscheinbare und Nebensächliche neu wertschätzen lernen ist das eine; das andere: Nicht zu verlernen, den Blick auf die Wirklichkeit des Lebens auch aus der Sicht der anderen zu verlieren.
Diese Einsicht hat mich die letzten Tage begleitet. Ich erinnerte mich des Jubiläums der 1. Heimkinder community e.V., die ihr Zehnjähriges im Mai in der Citykirche gefeiert haben. Was könnte sich verändern, wenn ich als Teil unserer Kirche diese unvorstellbaren Leidgeschichten wirklich aus ihrer Sicht erleben würde?
Ich erinnerte mich des Besuchs der Barber Angels, die vergangenen Sonntag vielen Bedürftigen in der Citykirche die Haare geschnitten haben. Und ich habe mich gefragt, was sich wohl verändern würde, wenn wir uns nicht nur über das Aussehen und Auftreten der Bedürftigen mokieren würden, wie ich es nicht selten höre und wahrnehme, sondern ihren Wunsch erkennen würden, ihrer äußeren Erscheinung einen schönen Ausdruck zu geben.
Den/die andere nicht aus dem Blick verlieren, indem ich mich bemühe, mich in ihre Lebenssituation hineinzuversetzen: Das könnte der Anfang eines neuen tragfähigen Friedens werden.
Denn stellt euch vor: Herr Putin würde sich hineinversetzen in die Frau in Odessa, die durch den von ihm angezettelten Krieg alles verloren hat. Herr Trump würde sich hineinversetzen in die Person, die aus ihrer Krankenversicherung herausgeflogen ist, weil sie ihren Arbeitsplatz verloren hat. Oder Herr Dobrindt würde sich hineinfühlen in den Mann, der zusammengepfercht mit anderen in einem Lastwagen von Schleppern an die Grenze transportiert wurde und dort zurückgewiesen wird, nachdem er den Schleppern sein ganzes Erspartes gegeben hat, um der unerträglichen Armut in seiner Heimat zu entfliehen.
Der Monat Juni bietet in der Citykirche die Möglichkeit, ein wenig inne zu halten und diesen Gedanken nachzugehen, denn leider musste kurzfristig der Künstler, der im Juni bei uns ausstellen wollte, aus persönlichen Gründen absagen. So bleibt Zeit, ein wenig zu reflektieren, was es mit uns macht, wenn mit dem Fest Christi Himmelfahrt die farbenfrohen Tücher der Kunstinstallation von Lukas Sünder, die uns in der Fasten- und Osterzeit begleitet haben, entfernt werden und die Citykirche ein wenig trister ausschauen wird und leerer erscheint. Gleichzeitig aber wird unsere Kirche heller, denn in dieser Woche wird das bis dato zugemauerte Fenster in der Sakramentskapelle durchgebrochen und verglast. Es tut sich also doch was Neues auf, was es zu entdecken gilt. Noch ist die Sakramentskapelle zwar eine Baustelle, aber die Erwartungen dürfen steigen, bald wieder einen angemessenen Ort für das Gebet einnehmen zu können.
Ein Besuch lohnt sich immer und alle sind herzlich willkommen.
Euer
Christoph Simonsen